Auf in die
Hölle
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Bewertung:
Nach der ersten Seite will ich das Buch [E/Meth von Felix Woitkowski] wieder aus der Hand legen. Gregor, der Protagonist, erlebt unendliche Grausamkeiten in seinem Kerker. Ein dunkler Raum mit einer Maschine, die ihn immer wieder schwer verletzt. Warum oder weshalb, diese Fragen werden nicht geklärt, auch wo sich das Ganze abspielt.
Ich denke an Voyeurismus, Gewalt um der Gewalt willen und frage mich, wozu dies dienen soll.
Das Buch wartet auf meinem Nachtisch. Es ist ein schönes Buch, Hardcover mit Lesebändchen, der Umschlag zeigt ein gefälliges Chaos aus sepiafarbenen Streifen auf weißem Grund. Also greife ich doch wieder zu, es folgt das zweite Kapitel Einbein. Gregor hat den Kerker verlassen, befindet sich in einem Tunnelsystem, das alle Farben durch einen sandfarbenen Schleier blass und gräulich erscheinen lässt. In einem Essensraum sieht er andere Menschen und trifft auf Einbein, der zwar zwei Beine hat, dafür aber durch eine schwere Verletzung am Mund entstellt ist. Einbein fordert ihn zu einer Expedition durch das Tunnelsystem auf, die er allein nicht bewältigen könnte.
"Von einem Moment auf den nächsten schlug die Gewalt des Chores über ihm zusammen.
Der Alte hätte es die Frauen genannt und einen Altherrenwitz daraus gemacht. Er hätte auch jedes andere Wort verwenden können. Denn keines, das Gregor kannte, war treffend genug, um bezeichnen zu können, was er jetzt empfand. Trotzdem suchte sein Geist es zu verarbeiten.
Wie Hagelkörner, nein wie die Salve eines Maschinengewehres prasselten sie auf ihn ein, durchschlugen den dünnen Stoff seines Anzuges und rissen Wunden.
Jede Verwünschung ein Schlag, jeder Fluch ließ ihn erzittern. Schlagartig wurde er ergriffen, aufgeworfen, überrollt. Im Widerhall der kreischenden Stimmen erschauderte er, ganz Körper der Resonanz, bemerkte er, wie er davongetrieben wurde, wie er zugleich strauchelte."
(S. 35)
Im Tunnelsystem gelten andere Regeln, die weder Leser noch Protagonist verstehen. Fast wie ein lebendiger Organismus ändern sich die Wände, die Abzweigungen, und es gibt Eigenschaften, die nicht zu sehen sind, sondern dem Reich der anderen Sinneswahrnehmungen angehören – unheimlich – erschreckend – verstörend und unerklärlich.
Das gilt auch für die wenigen Begegnungen, die im Verlauf der Kapitel stattfinden. Warum teilen die Betreffenden gleiche Erinnerungen an ihre gemeinsame (?) Kindheit, obwohl sie sich nie zuvor sahen. Warum tragen sie die gleiche Kleidung und finden in ihrer Brusttasche Zettel mit schwer verständlichen Befehlen, und warum sind Verabredungen untereinander kaum möglich? Das Labyrinth frisst Menschen und spukt sie wieder aus – wo, in welcher Etage, niemand weiß es. Gibt es einen Kopf, ein Zentrum, ein Gehirn, das die Absurditäten steuert?
"Einen Ort, an dem er rasten konnte, gab es nicht, keinen Stuhl oder Hocker, nicht einmal einen trockenen Platz. Also blieb er stehen, fluchte den Donnerpauken entgegen und klatschte mit den Handflächen auf die Wasseroberfläche, dass es spritzte.
Ein einziger Schlag nur und doch so stark, dass er die Welt ins Wanken brachte."
(S. 185)
Die gesamte Lektüre macht keinen Sinn. Sie fußt auf Zusammenhängen und Ereignissen, die nicht existieren können, und ich frage mich, woher der Autor diese Handlungen nimmt, wo sie herkommen, wie er sie schildern kann. Wenn der dunkle Raum für den Tod steht, dann ist das danach, sind die Kapitel, die folgen, die Hölle, die wir uns nicht vorstellen können. Vielleicht ist dies der Grund, warum ich nicht aufhören kann zu lesen und diesem Unvorstellbaren folgen muss. Ein mutiges Experiment für psychisch stabile Leser.
Ellen Norten - 13. Juli 2024 ID 14835
Dunkelgestirn-Link zu
E/Meth
Post an Dr. Ellen Norten
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