Wider dem
Gender Gap
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Im wilhelminischen Deutschland war Frauen ein Studium an staatlichen Kunstakademien verboten. Sie wurden so bei offiziellen Ausstellungen, Preisen, Stipendien oder auch Kunstankäufen nicht berücksichtigt. Erst mit Einführung des Frauenwahlrechts 1919 durften auch Frauen die Kunstakademien besuchen. Seit den 60er Jahren dringen vermehrt Frauen in den Kunstmarkt vor. Sie widmen sich oft sogenannten weiblichen Thematiken und feministischen Fragestellungen wie dem männlich sexualisierten Blick. Künstlerinnen nutzen auch in ihrer Wahl künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten die neuen Medien, wie die Performance- und Aktionskunst, die Fotografie und Videokunst, die Konzept- und Installationskunst. Feministische Positionen inszenieren oft auf provokative Art Themen wie etwa zu unserem Denken, Rollenverständnis und unserer Wahrnehmung.
Zahlreiche Frauen partizipierten nach dem Ersten Weltkrieg in neuen Kunstströmungen von Surrealismus, Dada, Konstruktivismus oder Expressionismus. Malerinnen, Bildhauerinnen, Grafikerinnen, Fotografinnen, Designerinnen oder Architektinnen entwickelten eigenständige Oeuvres. Einige dieser Frauen werden nun mit jeweils einem bekannten Werk in dem hier vorgestellten Band - Große Kunst von Frauen - porträtiert. Das großformatige, mit Farbabdrucken bestückte Lexikon ist ein alphabetisch von A bis Z geordnetes Nachschlagewerk. Es berücksichtigt verschiedene historische Epochen und unterschiedliche Formen und Materialien. 23 Autorinnen und Autoren ordnen in kurzen Begleittexten die Künstlerinnen auch in künstlerische Kreise und Netzwerke und internationale Entwicklungen ein.
Die New Yorkerin Tara Donovan (geboren 1969) wird über zwei Seiten mit einem Foto der Kunststoffinstallation Untitled (Plastic Cups) (2006/2015) vorgestellt. Dieses Werk sei beispielhaft für ihre organische „skulpturale Formensprache“ und Verwendung „alltäglicher Wegwerfartikel aus Massenproduktion“ (S. 122), heißt es. Die französische Impressionistin Berthe Morisot (1841-1895) wird mit dem Abdruck des Ölgemäldes Le Berceau (Die Wiege) (1872) präsentiert. Hier malte Morisot ihre Schwester Edma vor der Wiege ihres schlafenden Kindes – ein exemplarisches Werk ihrer Gemälde der „Interieurs der Frauen der wohlhabenden Elite“ (S. 285), so der Band. Die südafrikanische Fotokünstlerin Zanele Muholi (geboren 1972) wird mit dem Selbstporträt Sebenzile, Parktown (2016) dargestellt. Helle und flexible Plastikschläuche umkränzen kunstvoll den Kopf und Oberkörper der Künstlerin. Diese Schwarz-Weiß-Fotografie wird als beispielhaft für Muholis spielerischen Umgang mit visuellen Motiven „aus kolonialen Darstellungen afrikanischer Frauen“ (S. 289) eingeordnet.
Das sind nur drei Beispiele der über 400 ausgewählten Künstlerinnen, die einen möglicherweise androzentrisch geprägten Künstlerkanon im kollektiven Gedächtnis hinterfragen. In Museen, Ausstellungen, Galerien und auf dem Kunstmarkt sind Künstlerinnen auch heute noch meist weniger präsent als ihre männlichen Kollegen. Rekordverkaufspreise liegen bei Werken von Männern weiterhin deutlich höher als bei denen von Frauen.
Ein Glossar am Ende des Bandes erklärt kurz Strömungen und Stile, wie etwa Barock, Bauhaus, Pop-Art, Internetkunst oder den Postminimalismus. Auch hier werden porträtierte Künstlerinnen eingeordnet und gelistet. Der Band macht die Kreativität von Künstlerinnen sichtbar und vermag so, mehr Gleichberechtigung in der Kunst und der Gesellschaft zu fördern.
Wie es mit ambitionierten Nachschlagewerken in Buchform so ist, haben sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit. So fehlen Beiträge zu der einen oder anderen prominenten Künstlerin, wie zur Wachsbildnerin Marie Tussaud, zur japanische Installationskünstlerin Chiharu Shiota, zur Bildhauerin Louise Stomps oder zur Performance-Künstlerin Anne Imhof, die 2017 immerhin den Goldenen Löwen auf der Biennale di Venezia für den besten nationalen Beitrag gewann.
Das weltweit erste, in Bonn ansässige Frauenmuseum veranstaltete übrigens 2021, nach sechs Jahren Pause, wieder einen Art Fair. Auch diese mittlerweile 26. Frauenkunstmesse bezeugte mit 82 eingeladenen Künstlerinnen, dass es noch viele kreative Positionen weiblicher Urheberschaft zu entdecken gibt.
Ansgar Skoda - 21. Dezember 2021 (2) ID 13373
Verlagslink zu
Große Kunst von Frauen
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