Hanns im Glück
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Eine Lektüre wie ein kleiner Ersatz für die eigene Reise, die in der gegenwärtigen Krise nicht möglich ist: Eindrücklich und detailreich schildert der renommierte Schriftsteller und 69jährige Germanist Hanns-Josef Ortheil in Italienische Momente längere Aufenthalte in Venedig, in Sizilien oder in der Villa Massimo, einer Kultureinrichtung in Rom zur Förderung deutscher Künstler. Zu Beginn bebildert er seine erste Ankunft in Rom im Sommer 1970, kurz nach seinem Abitur. Es ist für ihn wie eine Offenbarung diese Stadt und Italien zu erleben, und er fühlt sich wie neu geboren, seine persönliche Renaissance. „Dieses Land hat aus mir einen anderen Menschen gemacht. Unglaublich. Aber wahr.“ (S. 7)
Italienische Momente ist eine Sammlung von Erlebnisberichten und von Kurzvorstellungen seiner Romane über berühmte Italienreisende – Faustinas Küsse (1998) über Goethe, Der von den Löwen träumte (2019) über Hemingway – oder fiktionale Personen, wie einen Ethnologen, der Sizilien erkundet (Das Kind, das nicht fragte, 2012) und einen jungen Stipendiaten in Rom, Villa Massimo (2015). Die Kapitel werden jeweils mit einer kurzen Einführung eingeleitet.
In dem sizilianischen Dorf Mandlica ist der Protagonist konfrontiert mit den zunächst unverständlichen Eigenarten der Einheimischen. Wie die Omertà – die Schweigepflicht, ein Ehrenkodex italienischer Mafia-Mitglieder – umgibt eine Mauer des Schweigens Geheimnisse, die aber nichts mit den Machenschaften der berüchtigten sizilianischen Verbrecherorganisation Cosa Nostra (dt. „unsere Sache“) zu tun haben, sondern mit den Rezepturen von Süßigkeiten der traditionellen, familiengeführten Pasticcerias. Der Band steht den Bretagne-Krimis eines Jean-Luc Bannelec, wie Bretonische Spezialitäten, in wiederkehrenden lukullischen Schwelgereien in nichts nach. Die einheimische Küche an touristisch erschlossenen Orten schmeckt. Ortheil widmet ein ganzes Kapitel gar den Cicchetti, kleiner Snacks oder Beilagen, die in Venedig serviert werden. Hier heißt es:
„Was man auf der Zunge zergehen ließ, waren nämlich die Intensitäten des agrarischen Lagunenraums sowie der agrarischen Terra ferma, kontrastiert mit dem, was die Meeresterrains der Lagune für den Verzehr bereithielten. Indem man Erd- und Meereserzeugnisse miteinander verband, kostete man von zweierlei Formen erlesener Ernte, von der Ernte der Bauern und der Ernte der Fischer.“ (S. 195)
Ortheil verlässt selten den sehr persönlichen Blickwinkel eines begeisterten Touristen. So setzt sich der Band kaum mit gesellschaftlichen Problemen Italiens – wie etwa den Mafia-Syndikaten – auseinander. Ortheil nimmt die Leser mit nach Rom, nach Venedig. in ein sizilianisches Dorf und zeigt, wie er sich allmählich die jeweilige Umgebungen und Menschen erschließt. Nach ähnlichen Mustern bilden sich Gewohnheiten heraus. Architektur, Kunst und Kulinarisches werden akribisch beschrieben. Es ist die alte Italiensehnsucht der Deutschen, die hier geistige Nahrung sucht, und es ist der von diesem Land faszinierte Deutsche, der aus Italien seine Gewohnheit gemacht hat.
Ansgar Skoda - 24. Januar 2021 ID 12709
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Italienischen Momenten
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