Das Schweigen
der Eltern
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„Das Volk wird wieder zuschlagen. Auch diese Feststellung ist getroffen. Grete will abwarten.“
„Dauerhaft eine gebrochene Frau und drei Kinder mit diesen Erbanlagen im Haus – Gretes Nachbarn würden da nicht mitspielen. Sie würden Schritte veranlassen. Die Zerstörung weitete sich aus.“
(Juliane Beer, Doch auserwählt, S. 105, 151)
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Grete überlebte den Zweiten Weltkrieg. Sie, Mutter dreier Kinder, hat viel unter den Kriegsumständen gelitten. Doch der Gedanke an eine hoffnungsvolle Zukunft danach trügt. Grete kann es nicht fassen. Ihre älteste Tochter Renate heiratet ausgerechnet James, einen Mann jüdischer Konfession – gegen Gretes Willen. Es kommt noch ärger, Renate wird von James schwanger.
Juliane Beers jüngstes Werk Doch auserwählt (2021) verhandelt pointiert die gesamtgesellschaftliche Verantwortung nach dem Genozid. Die Wiege der Gesellschaft ist naturgemäß die Familie. Nuanciert entspinnt sich eine spannungsvolle familiäre Konstellation. James entstammt einer wohlhabenden jüdischen Familie, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ins südamerikanische Bolivien emigrieren konnte. Nun versucht sie im Nachkriegsdeutschland wieder Fuß zu fassen. James Gattin Renate kommt aus weniger betuchten Verhältnissen. Renate wurde alleine von Grete erzogen, die demgemäß einen großen Einfluss auf sie hat.
Die Christbaumspitzen mit Hakenkreuz sind im Keller verstaut. Gretes zweiter Ehemann Adolf war Soldat. Grete ist nicht dazu bereit, mit der jüdischen Familie ihres Schwiegersohnes Frieden zu schließen. Wenn der Familienfrieden dadurch gestört sein sollte, trifft sie keine Schuld:
„Was sie hingegen nicht verzeihen kann, und auch nicht verzeihen will, ist, wenn man sie und andere Christen dafür belangt, was dieser abscheuliche Jude Hitler getan hat.“ (S. 82)
Wenn Grete an ihre Enkel denkt, kann sie sich nicht freimachen von den Glauben an die deutsche Erbgesundheit. Doch als sie ihrer Tochter Renate erklären will, dass deren Kinder ein anderes Gen und anderes Blut in sich tragen, scheint Renate sichtlich um Ruhe bemüht. (S. 153)
Doch auserwählt handelt atmosphärisch stimmungsvoll von fehlenden oder falschen Haltungen. Wenig zimperliche Methoden der Tabuisierung und Verdrängung in der Nachkriegszeit werden vorgeführt. Welche Sicherheiten gibt es noch und was soll man glauben, wenn die Täter stets die anderen waren, man selbst eher das Opfer.
Susanna, James Mutter, „hatte seit der Rückkehr keinen Führerschein mehr für dieses Land“ (S. 80). Sie traut sich nicht zu klagen, meint sie doch zu wissen, dass dies sich nicht gebührt:
„Lamento, das nur falsch ist, wenn es jüdisches Lamento ist.“ (S. 132)
Das Gefühl der fehlenden Verortetheit kennt ihre Schwiegertochter Renate nur zu gut:
„Bodenlosigkeit nennt Renate den Zustand, diesen Sprudel aus Beklommenheit und Ohnmacht, der zu perlen beginnt, sobald die anderen sich gegen sie wenden.“ (S. 22)
Auch James vermeidet es bewusst, seine Kinder über Antisemitismus aufzuklären. Er scheut eine Aussprache, obwohl seine Kinder ihren Unmut darüber kundtun, dass im Geschichtsunterricht Lehrer noch Stammbäume zu Rate ziehen möchten:
„Doch dann entscheidet er spontan, den Mund zu halten. Alles, was er jetzt sagen oder fragen würde, könnte unliebsame Gegenfragen von Seiten der Kinder nach sich ziehen.“ (S. 166)
Im unterhaltsamen Roman Doch auserwählt kochen familiäre wie gesellschaftliche Ängste hoch. Das privat und gesellschaftlich Verdrängte wird mehr und mehr zum Thema. Die Enkelgeneration versucht die Schockstarre zu lösen und neue Allianzen zu knüpfen. Doch ist dies vielleicht nur ein Schritt, um selbst dem möglicherweise schweren Erbe zu entkommen?
„Was könnte sie der Mutter gestehen? Dass sie ihren Sohn schlüge, so, wie die Mutter sie geschlagen hatte, so wie die Mutter vom Großvater geschlagen wurde?“ (S. 189)
Ansgar Skoda - 20. Mai 2021 ID 12923
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Doch auserwählt
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