Mit Wut
im Bauch
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Bewertung:
Als Niklas Frank vor nun schon 33 Jahren das Buch über seinen Vater, den Generalgouverneur von Polen in den Jahren des Nationalsozialismus und einer der Hauptkriegsverbrecher, veröffentlichte, waren nicht wenige der Meinung, die Loyalität gegenüber der Familie müsse Vorrang haben vor der Loyalität gegenüber den Opfern eines Massenmörders. Es ist diese verhängnisvolle Logik und der gesellschaftliche Druck, der dahinter steht, was die analytische und moralische Aufarbeitung der nicht mehr jüngsten Geschichte erschwert hat und weiterhin erschwert, wenn nicht verhindert.
Für Niklas Frank war und bleibt diese Geschichte bis zu seinem Lebensende zugleich ein Stück Familiengeschichte. Diesem Zusammenhang kann er nicht entfliehen. Darum ist er nicht zu beneiden. Dass er selbst keine Schuld trägt, macht die Sache nicht einfacher. Er leidet unter dem Bewusstsein von monströsen Verbrechen, die andere so effektiv verdrängt und rationalisiert haben. Wer das durch keine eigene Leistung begründete Glück hatte, nicht in eine Familie von Tätern geboren worden zu sein, muss für Niklas Frank Empathie empfinden. Denn er macht sich die Auseinandersetzung mit den Untaten seines Vaters zu seiner eigenen Sache und geht nicht den bequemen Weg, die Palästinenser dafür zahlen lassen zu wollen, was Deutsche den Juden angetan haben.
Umso bemerkenswerter ist es, dass sich die Geisteshaltung, für die Hans Frank ein besonders drastisches Beispiel abgibt, für seinen Sohn mit dessen Tod durch Erhängung und mit dem Ende des nationalsozialistischen Regimes nicht erledigt hat. In einem diesmal schmaleren Bändchen klagt er deren Fortleben „in der deutschen Gesellschaft“ an. Der ehemalige Stern-Reporter nennt die Streitschrift mit dem provokanten Titel Auf in die Diktatur! einen „Wutanfall“.
Franks Buch ist ein Plädoyer für Zivilcourage, auf gut deutsch: „Bürgermut“. Diese Zielsetzung rechtfertigt die Betrachtung der „Deutschen“ als Kollektiv – anders als bei der Schuldzuweisung muss bei dieser Forderung niemand ausgenommen werden – (eine Kollektivschuld lehnt Frank ausdrücklich ab) und lässt über manche Pauschalisierung hinwegsehen. Das Buch ist gefüllt mit Beispielen für die These, dass man hierzulande „nichts“ aus den zwölf Nazijahren gelernt habe. Das ist eine Übertreibung. Dass man freilich Mechanismen entwickelt hat, um das Gelernte zu verdrängen, wird durch die Beispiele belegt. Die meisten Einzelfälle sind bekannt. In ihrer Ballung jedoch lösen sie das Erschrecken aus, das Niklas Frank in der Erinnerung an die Nazidiktatur vermisst.
Niklas Frank zitiert Zuschriften, die er erhalten hat und die teilweise nicht gerade geeignet sind, den Glauben an das demokratische Bewusstsein der heutigen Deutschen zu stärken. Immerhin lobt er jene, die ihm erlaubt haben, ihren vollen Namen zu nennen. Oder tun sie das in der nicht unbegründeten Annahme, dass sie bei Lesern eher Zustimmung als Abscheu erwecken? Und wiederum: man darf aus diesen Mails und Briefen nicht auf die Gesamtheit der Deutschen schließen. Aber die Zahl der AfD-Wähler ist keine Fiktion. Bei der Reichstagswahl 1930 haben nur 18,3 Prozent die NSDAP gewählt. Drei Jahre später war sie an der Macht.
Dass die führenden AfD-Politiker, allen voran der angeblich gemäßigte Jörg Meuthen, Niklas Frank jede Menge Munition liefern, dass er gegen sie ungeniert Gift und Galle spuckt, ist nicht weiter verwunderlich, aber er macht auch deutlich, dass nationalsozialistisches „Gedankengut“ weit über den Rand der Partei hinaus beheimatet ist, sei es in unbedachten Formulierungen, sei es in nur mäßig camouflierten Überzeugungen. Bei manchen genannten Namen wäre das Attribut „nationalsozialistisch“ ungerecht, „antidemokratisch“ aber durchaus legitim, und sei es durch das, was nicht gesagt wird. Frank hat ausgesuchte Abneigungen, etwa gegen den „Geiferer Matussek“ und den „Anschleimer Herles“, aber auch der Bundespräsident, der „Obersalbaderer Steinmeier“, bekommt sein Fett ab.
Das alles ist zwar mit Wut, aber locker, in einem kolloquialen Ton geschrieben. Was in historischen Abhandlungen und Statistiken dröge erscheinen mag, gewinnt hier gerade durch die Subjektivität an Eindringlichkeit.
Die Niklas Franks Aussagen nicht wahr haben wollen, werden ihn hysterisch nennen und pathologisieren. Damit hat sich die Angelegenheit dann erledigt. Diskret nachgefragt: Greifen sie zu solch einer „Erklärung“, wenn ein Nawalny, zu Recht oder zu Unrecht, über Putins Russland herzieht?
Thomas Rothschild – 20. Dezember 2020 ID 12662
Verlagslink zu
Auf in die Diktatur! von Niklas Frank
Post an Dr. Thomas Rothschild
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