Es muss nicht
immer Lehár
sein
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Die wechselhafte Lebensgeschichte des in Ungarn geborenen Paul Abraham und die ebenso wechselhafte Rezeptionsgeschichte seiner Werke spiegeln die Universalgeschichte des 20. Jahrhunderts. Anfang der dreißiger Jahre, vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, zählte Abraham zu den meistgespielten Bühnenkomponisten seiner Zeit. Danach war er über geraume Zeit vergessen, ehe er nach langer psychiatrischer Behandlung 1960 in Hamburg starb.
Paul Abrahams Musiktheater markiert das Bindeglied zwischen Operette und Musical. Zur Einordnung: er ist Altersgenosse von Irving Berlin und Cole Porter, aber auch von Friedrich Hollaender. Zu den witzigen Liedern, die selbst in den Jahren seiner Verdrängung überlebt haben, gehören "Mausi, süß warst du heute Nacht" und "Meine Mama war aus Yokohama" aus Viktoria und ihr Husar von 1930. Das Libretto zu dieser Operette schrieben Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, die im New Yorker Exil bzw. in Auschwitz starben.
An der Berliner Komischen Oper hat sich Barrie Kosky seit längerem um die Renaissance Paul Abrahams verdient gemacht. Nach und nach haben auch weitere Theater, so unter anderem in Mainz, Dresden, Hamburg, Hannover, Meiningen und Nürnberg Operetten von Paul Abraham für sich entdeckt. Dennoch: dass sein Name allgemein geläufig wäre, kann man nicht behaupten.
Wer sich für Paul Abraham interessiert, findet fast alles, was sich über ihn sagen lässt, in dem großformatigen, reich illustrierten Band von Karin Meesmann mit einem Titel, der dem Komponisten seinen ungarischen Namen belässt: Pál Ábrahám. Zwischen Filmmusik und Jazzoperette.
Die 550 Seiten dicke Monographie folgt dem chronologischen Modell und wechselt zwischen Lebensdaten und der ausführlichen Erörterung einzelner Werke. Mit historischen Rückblicken und atmosphärischen Exkursen füllt die Autorin die Darstellung mit Leben. Dabei interessiert sie besonders die musikalische Eigenheit, die Abrahams Werk auszeichnet, der Zwischenbereich zwischen europäischer Operette und amerikanischem Jazz. In seiner Jugend steht Abraham unter dem Einfluss der Musik seiner ungarischen Heimat. Schon bald komponiert er für den, zunächst noch „stummen“, Film. 1927 schreibt er seine erste und sogleich überaus erfolgreiche „Jazzoperette“ Zenebona. Schon bald darauf kann er mit Victoria und ihr Husar seinen Ruhm, zumal in Deutschland, aber auch in ganz Europa, festigen. Die Blume von Hawaii wird zur meistgespielten Operette der Weimarer Republik. Zugleich nehmen die antisemitischen Ausschreitungen zu. Nur zwei Jahre nach der Uraufführung der Blume von Hawaii ergreifen die Nationalsozialisten die Macht.
Das tragische Ende Paul Abrahams nach seiner Rückkehr aus dem Exil in einer Hamburger psychiatrischen Klinik deutet Karin Meesmann eher an, als dass sie es ausführt. Tratsch, wie er in den Medien längst Vorrang hat vor der seriösen Kunstkritik, interessiert sie offenbar weniger als das Werk eines in der Gegenwart Unterschätzten. Ob das Buch beitragen kann zu einer Wiedergeburt? Es gäbe da einiges wiederzuentdecken zwischen Filmmusik und Jazzoperette.
Thomas Rothschild – 28. Dezember 2023 ID 14543
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Pál Ábrahám
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