Prosaische
Miniaturen
und Gedichte
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Bewertung:
Vor einem halben Jahr schickte mir Sonja Gruber ein druckfrisches Exemplar ihres zweiten Lyrikbands Dichtungen II an meine Postadresse, und sie würde, wie sie mir in einem beiliegenden Brief geschrieben hatte, sich sehr freuen, wenn ich "oder eine Kollegin, ein Kollege von KULTURA-EXTRA [ihr] Buch besprechen"... Ich stutze erst, dann überlegte ich mir, wie sie wohl auf mich und uns verfiel, ja und ich wollte mir das so erklären, dass sie (zufälligerweise?) mal auf eine Lyrik-Rezension in unserm Magazin gestoßen war und daher so was wie ein "Vor-Vertrauen" ganz im Sinne ihrer 200 Buchseiten bemessenden und von der edition fabrik.transit herausgegebenen Prosaischen Miniaturen und Gedichte hegte - allerdings:
Die letzte Lyrik-Rezension bei uns erschien im Mai 2019 [Thomas Rothschild schrieb zu Isabella Breiers mir kommt die Hand der Stunde auf meiner Brust so ungelegen, dass ich im Lauf der Dinge beinah mein Herz verwechsle], und ich selbst "bewerte" eigentlich nur noch Gedichte von mit mir befreundeten KollegInnen [Róža Domašcynas Die dörfer unter wasser sind in deinem kopf beredt zum Beispiel].
Gut, okay, ich blätterte mich in ihr Buch hinein...
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171 (!) alphabetisch nach den jeweiligen Titeln angeordnete Gedichte, falls ich richtig zählte, wären zu lesen gewesen; und ich hatte sie gelesen. Und zwar alle.
Die Lektüre erfolgte chronologisch, von vorn nach hinten, und ich nahm mir also ein Gedicht nach dem anderen vor.
Und wie das halt beim Lesen von Gedichten ist: das eine liest du gründlich und womöglich sogar zwei- und drei- und mehrmals, und das andere nimmst du bloß so zur Kenntnis, ja und falls es dir nicht zusagt oder du am Ende keinen Zugang zu ihm hast, tust du es "überlesen", blätterst also weiter ohne dich mit ihm noch weiterhin befasst zu haben.
Als ich Grubers Buch - nachdem ich es ein halbes Jahr lang nicht mehr angefasst hatte - jetzt auf- und vorwärtsblätterte, stieß ich auf viele Unterstreichungen mit Bleistift; meistens handelte es sich um Worte, die ich kenntlich machte, weil sie mir so gut gefielen:
"Leierschrei", "Alz", "Könnerkinder", "Geltungstrief", "Terrakottablick", "Fauleis", "geschlägert", "hekteln", "zickenverzacken", "Gängelblick", "Gedankengelse", "Grollgemüt"... Ein gutes Dutzend neuer Wortschöpfungen (nur ein kleiner Ausschnitt, eine Kostprobe von dem, was alles in dem schönen Gruber-Buch zu finden, zu entdecken ist) - keine von ihnen findest du in einem Duden. Wer zu solchartigen Kreationen fähig ist, hat Sprache intus, ist ein Sprachmagier - eine Sprachmagierin.
Es gibt Verszeilen, die ein oder das andere Gedicht in einem Guss erklären, es verinhaltlichen: "Die Plastikbeere der Kindheit schoss" in dem Gedicht Geschmacklos, oder "Ich flechte dir einen Zuwendungszopf" in dem Gedicht Haarnadel, oder "Das Ungeliebte wütet" in dem Gedicht Schwarze Schwester.
Privates wird, fast ungeniert und unverhohlen, aufgeschlossen, und am deutlichsten und auch brutalsten lesen sich ihre Familiengeschichten in der achtteiligen Kindheit am Bauernhof, 19 Seiten schonungslose Prosa, kreatürlich und natürlich geht es da um frau mit/ unter Männern. (Musste merkwürdigerweise oft an Josef Winkler denken, wie ich mich da "in sie" las.)
Bei den Schnittblumen (um wahllos ein ganz anderes Lyrik-Beispiel von Gruber anzuführen) kam mir Friederike Mayröcker, die Blumensträuße so verachtet, in den Sinn.
Assoziationen ohne Ende.
In dem Sprachkrebs (S. 175) tut die Gruber, scheinbar nur, auch ihre Schreibe irgendwie erklären; "Tags getarnt./ Nachts verquer./ Auf und ab./ Silben schwer./ Lüge wankt." lesen wir da.
Und Grubers Worte sausen - Wortensausen, wie sie meint.
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Gedichte, die man brauchen kann.
Gedichte, zeitlos wie die Zeit.
Gedichte fürs Zumstaunen, um zu fühlen.
Andre Sokolowski - 12. November 2020 ID 12593
Verlagslink zu
Dichtungen II von Sonja Gruber
http://www.andre-sokolowski.de
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