Mannomann
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Der Kehlkopf ist bei Männern ausgeprägter als bei Frauen. Als Detail gerät er oft nicht so in den Blick, wie auf dem Schwarz-Weiß-Foto von Sam Contis, Cover des Ausstellungsbandes Masculinities. Liberation through photography, herausgegeben von Kuratorin Alona Pardo. Das Foto, das zu der Künstlerserie Studies Male Seclusion gehört, sieht ein bisschen aus, als hätte das Modell sein primäres Geschlechtsmerkmal verschluckt. Cineasten werden sich vielleicht an den Episodenfilm Movie 43 (2013) mit Hugh Jackman als Mann mit Hodenhals erinnert fühlen, der ein Date im Restaurant mit der zwischen angewidert, belustigt und irritiert schwankenden Beth (Kate Winslet) hat.
Im Berliner Martin Gropius Bau sollte Masculinities. Liberation through photography vom 16. Oktober 2020 bis 17. März 2021 gezeigt werden. Die Ausstellung war pandemiebedingt leider die meiste Zeit geschlossen. Der umfangreiche und großformatige englischsprachige Katalog präsentiert Fotos und Bildserien von 55 internationalen Künstlerinnen und Künstlern mit Fokus auf Maskulinität. Wann ist ein Mann ein Mann? Welche Vorstellung haben wir von Männlichkeit? Beeinflusst unser Männlichkeitsverständnis unser Tun? Und was ist überhaupt toxische Männlichkeit in der Ära von #MeToo und Attentätern wie in Hanau oder Halle?
Inhaltlich kreisen viele Aufnahmen um Merkmale von Machtdynamiken hegemonialer Männlichkeit wie Stärke, physische Größe, Durchsetzungsvermögen und Aggressivität etwa bei Stierkämpfern oder Football- und Rugby-Spielern.
Die Texte zum Ausstellungsband von u.a. Chris Haywood, Edwin Coomasaru, Tim Clark, Jonathan D. Katz und Ekow Eshun widmen sich auch männerdominierten Orten, der Homophobie und Unterdrückung von Frauen. Zitiert werden bereits eingangs Größen wie der Modedesigner Calvin Klein, der Schriftsteller James Baldwin oder die Queer Theory-Ikonen Judith Butler und Jack Halberstam zu Geschlechterstereotypen und Männlichkeitsbildern. Thematisch fokussiert der Ausstellungskatalog auch Hypermaskulinität als Maskerade, queere Ästhetiken und das Wechselspiel aus Nähe und Distanz in der Fotografie.
Die Fotos porträtieren mal Männerdynamiken im Militär, bei der Polizei oder im Gefängnis. Neben idealisierte muskelbepackte Bodybuilder (u.a. Arnold Schwarzenegger nur mit Slip bekleidet, 1976 fotografiert von Robert Mapplethorpe) treten ikonische Bilder von Verletzlichkeit oder dem Altern und einhergehenden körperlichen Verfall. Eine Bildserie vom beinlos geborenen B.J. Robinson fängt dessen Trotz, Unbeugsamkeit und Selbstbewusstsein ein, die der Fotograf George Dureau einfühlsam in Schwarz-Weiß-Fotos festhält.
Über den Einsatz ihrer eigenen Körper finden Künstlerinnen und Künstler wie der Kanadier Cassils, die Polin Aneta Bartos, der schwarze US-Amerikaner Paul Mpagi Sepuya und der japanische Fotograf Masahisa Fukase zu neuen Formen der Subjektivität. Eine übergreifende Fragestellung ist, wie Körper wiedergeben können. Kann eine Beschäftigung mit dem eigenen Körper relevant werden für einen erweiterten Kunstbegriff? Welche Rollen spielen dabei queere Fragestellungen in der heutigen Zeit? Bisher wenig bekannte künstlerische Kriterien werden eingeführt.
Nicht nur Andy Warhols Aufnahmen seiner Male Models von 1979 gehören zu den bekannteren Fotoaufnahmen des Bandes. Das Schwarz-Weiß-Bild Orgasmic Man des Ukrainers Peter Hujar wählte die New Yorker Schriftstellerin Hanya Yanagihara als Covermotiv für ihren Bestseller A little life aus, der 2015 auf die Shortlist des britischen Booker Prize gelangte.
Der Band beschäftigt sich mit männlich geprägten hegemonialen Ordnungen, Väter- und Brüderlichkeit, Homoerotik, schwarzer Männlichkeit, Frauen als Beiwerk sogenannter ausgeprägter Männlichkeit und Männlichkeitszügen oder männlichen Posen bei Frauen. Herkömmliche Männerbilder werden einer kritischen Revision unterzogen. Die Fotos zeigen Möglichkeiten künstlerischer Repräsentation unabhängig von bisher gültigen Konzepten auf.
Masculinities. Liberation through photography bietet einen Anstoß, Männlichkeit vielfältig und divers zu denken. Wenn Männer und der Begriff von Männlichkeit sich verändern, könnte dies vielleicht auch Zusammenhänge von Sexismus als normierendem Machtsystem von patriarchalischen Herrschaften ein bisschen aufbrechen - hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit…
Ansgar Skoda - 4. August 2021 ID 13066
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