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Rezension

Lesen im Urlaub >>> Thomas Wolfe, Die Party bei den Jacks







Wir schreiben das Frühjahr 1928. New York ist eine dollarschwitzende und stahlbesessene Furie, deren gieriger Gestank vom prüden Westwind allmorgendlich wieder verscheucht wird. Eine Metropole, die Gebäude, Türme, Tunnel, Brücken und Straßen aus Stahl und Stein in eine „leblose Tönung“ zersplittert, die sich als betörend abweisendes „Gehweggrau“ in den Gesichtern ihrer Bewohner zeigt. Wir befinden uns in einem distinguierten Apartment in Manhattan, genauer in der piekfeinen Vanderbilt Avenue, hoch oben im siebten Stock, wo man gelegentlich das Beben der Subway spürt.

Nur einen kurzen Moment lang vermag diese Tatsache Mr. Frederick Jacks Optimismus während seiner ausgiebigen Morgentoilette zu irritieren, denn dieser reiche Selfmade-Millionär aus Koblenz richtet an diesem Abend, gemeinsam mit seiner Frau Esther, eine Party für die Privilegierten der Stadt aus, die alle Dimensionen sprengen soll: Die Bankiers, Spekulanten und Bosse, die Theaterleute, Künstler, all jene Celebrities mit ihrer zeitlosen Mischung aus Glamour, Geist und Geld:

„Nun, hier waren sie also, drei Dutzend der Vortrefflichsten und Besten, in schimmernder Seide, mit perlendem Lachen, dem verwirrenden Babel feiner Stimmen, dem Klirren von Eiswürfeln in hauchdünnen Gläsern und dem Klang von Silber, inmitten eines pulsierenden Gewebes aus Schönheit, Witz und Liebreiz – mit allem an Leidenschaft, Freude und Hoffnung und Angst, an Triumph und Niederlage, an Qual, Verzweiflung und Sieg, an Sünde, Niedertracht, Grausamkeit und Stolz, an schmählichen Intrigen, unwürdigem Eifern und unnoblem Streben, wie nur Fleisch und Blut es kennen, und was in einem Raum Platz findet – weiß Gott genug, um die Hölle zu füllen, den Himmel zu bevölkern oder das Universum zu besiedeln -, sie alle waren hier, wundersam verwoben zu einem magischen Geflecht – bei den Jacks.“

Nicht anders als heutzutage ist man ungemein „fashionable“ und „sophisticated“, vielleicht mit dem unerheblichen Unterschied, dass wir heute - den Medien sei Dank? – mitunter einen kurzen Blick auf die Happy Few werfen dürfen, zu denen wir wohl alle insgeheim gerne gehörten. Thomas Wolfe erzählt bravourös von jenem selbstvergessenen Tanz auf dem Vulkan, den die Roaring Twenties in New York, Buenos Aires, Paris und Berlin gleichermaßen zelebrierten, dessen jähes Ende indessen weder von F. Scott Fitzgerald an der amerikanischen Westküste noch von Ernest Hemingway in Paris oder von William Faulkner im ländlichen Mississippi, dafür aber von dem jungen Thomas Wolfe in New York vorhergesehen wurde. Am Ende des Romans züngeln die ersten Anzeichen der Großen Depression schon an den leicht bekleideten Füßen der schönen und reichen Ladys.

Während auf dem großen Büfett das Silber erstrahlt und der Kaviar schimmert und die Gewürznelken duften und die ganze Pracht und Eleganz der High Society erblüht, kratzt das diebische Personal bereits die ersten Risse in diese „schillernde Blase der Spekulation“, die wie zu allen Zeiten nur auf dem Rücken der Stenotypistinnen, der Aufzugführer, der Feuerwehrleute, der Zimmermädchen, der Stahl- und Bauarbeiter gedeiht. Thomas Wolfe schreibt mit Die Party bei den Jacks eine erstklassige Satire auf die amerikanische Gesellschaft der zwanziger Jahre und natürlich nicht nur auf diese. Dabei zeigt sich dieser außerordentliche Autor als ein Meister der stillen Beobachtung und Beschreibung. Er muss das alles nicht weiter kommentieren, er will es uns nur zeigen: All diese Dekadenz, die er als Geliebter der Gattin eines liberalen Wallstreetspekulanten auf einer Party in deren Haus im Jahr 1930 selbst mit eigenen Augen sehen konnte.

Thomas Wolfe wurde geboren im Jahr 1900 und verstarb bereits 1938. Als Autor eines Romans, der ein Leben ändern kann: Schau heimwärts, Engel aus dem Jahr 1929 ist er eine literarische Berühmtheit, doch es war dann sein zweiter Roman, Of Time and River, der Jahre später zum Bestseller wurde. Die Party bei den Jacks indessen wurde erst 1995 von Suzanne Strutman und John L. Idel im Nachlass gefunden und dieses unvollendete Werk lässt ahnen, wozu dieser Künstler noch in der Lage gewesen wäre. Was für ein Verlust! Wolfe ist ein hervorragender Diagnostiker seiner Zeit und vielleicht der sprachmächtigste Poet der amerikanischen Prosa des zwanzigsten Jahrhunderts. Wir haben es hier mit einem erzählenden Dichter zu tun, dessen Werke einen nicht mehr los lassen, weil sie mühelos das Einfachste und das Schwierigste miteinander verbinden: Sehen und Verstehen.

Jo Balle - 3. August 2012
ID 6127
Thomas Wolfe, Die Party bei den Jacks
Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Höbel
Nachwort von Kurt Darsow
Manesse Verlag, Zürich 2011
350 S., geb., 24,95 Euro
ISBN: 978-3-7175-2234-8



Siehe auch:
http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Party-bei-den-Jacks-Roman/Thomas-Wolfe/e347373.rhd


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