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31. August 2013 | Kulturbrauerei Berlin

BERLINER BUCHNACHT

Ein Streifzug




Im Windfang lungern Dichter

Tobias Premper erzählt vom Mann im Mantel. In seinem Mantel bleibt er an einer Garderobe hängen. Das Bild gefällt mir, es behauptet sich im Wirbel der Eindrücke. Der Mantel könnte den Mann spielend überleben. Premper setzt selbst den Punkt: „So ergeht es allen, denen das Leben aus den Händen gleitet.“

Das ist mein Zustand seit Jahren, seither fühle ich mich wohler. Man hat den Berliner Premper mit Pessoa verglichen, das passt. Diese Art der Buchführung. Der mikroskopische Blick, die Vereinzelung. Er hätte als Tennisspieler Karriere machen können. Das wäre ihm in einer anderen Preisklasse Anerkennung zuteil geworden. In seinen Miniaturen laufen Schuhe davon. Ameisen haben tragende Rollen.

In dieser Nacht gehört die Kulturbrauerei der Literatur. Das Publikum strömt im Regen. Ich gehe dem Verkehr aus dem Weg und kehre ein in einem Windfang.

Im Soda Club stürmt Clemens Meyer von der Bühne, ihm folgt Bertolt Brecht in einer Vertonung des Gedichts Eine Pappel steht am Karlsplatz. Das Gedicht erinnert an kalte Winter nach dem Krieg. Die Berliner legten auch die Pappeln am Karlsplatz um, doch trieben Stöcke aus dem Kahlschlag „mitten in der Trümmerstadt Berlin/ Und wenn Leute gehn übern Karlsplatz/ Sehen sie ihr freundlich Grün“. Ich nehme die Zeile mit in die Literaturwerkstatt zu Poesie auf der Klippe und im Sturzbach der Gegenwart. Ulrike Almut Sandig und Marlen Pelny berichten vom „Rauschen der Dachböden/ Und quer durch den Hof flogen Tiere“. Das kennt man von Chagall, von Bildern, die zu Poster wurden und sich im kollektiven Gedächtnis so verlaufen wie Dalis Uhren. Ich denke an eine Beobachtung von Heiner Müller: „Wir sind nicht bei uns angekommen, solange Shakespeare unsere Stücke schreibt.“



Jana Kozewa singt Bukowski - Foto (C) Jamal Tuschick

Spex-Experten - Foto (C) Jamal Tuschick

Leser im Hof der Kulturbrauerei - Foto (C) Jamal Tuschick



Im Kesselhaus singt Jana Kozewa Verse von Charles Bukowski. Waits For Ever heißt das Programm. Der Titel spielt auf den Musiker gleichen Namens an, die Band verifiziert den Zusammenhang mit einem Schuss Howlin’ Wolf. Jana Kozewa steigt aus ihrem Hemd ins Kleid. Zum Besten gibt sie die „Die Traumfrau ... die Frau, von der jeder Mann/ träumt, ist eine Nutte mit/ einem Goldzahn und schwarzen Strapsen, viel Parfüm/ falsche Wimpern/ ... Salami-Mundgeruch“.

Ich finde den Vortrag gekonnt, mir sagt Bukowski immer noch was, er erinnert an alte Filme. Play it again, Sam. Der Mann am Klavier, die Kippe im Winkel ... „und im Gesicht ein Rest von Schönheit.“

Der Prenzlauer Berg ruft, ich ziehe um seine Häuser. Lieber bin ich katholisch als melancholisch, vor den Clubs stehen die Leute an. Der Berg kreißt und gebiert eine Maus. Viele sagen Vergnügen zu der Maus. Ich geh noch mal ins Kesselhaus, es soll nach Mitternacht um Texte jenseits des Hauptstroms gehen. - Versammelt in einer Bibel für die Jünger des Pop. Co-Herausgeber Max Dax präsentiert gemeinsam mit Kristof Schreuf (Kolossale Jugend) Spex – Das Buch - 33 1/3 Jahre Pop. Die Experten lästern über die Bukowski-Adepten. Offensichtlich wurde von Jana Kozewa und ihren Männern ein Pop-Gesetz missachtet, im Weiteren geht es um Malcolm X-Kappen auf den Köpfen von Rassisten. Was das zu bedeuten hat, wenn ein deutscher Faschist Malcolm X als Schriftzug seiner Gegend zeigt. Ich glaube, dass das gar nichts zu bedeuten hat, so was beziffert kein Ende, keinen Anfang und keine Zäsur. Es deutet auf nichts hin. – Und zwar genau darauf.

Max Dax spricht über den „ersten MTV-Toten“, die Rede ist von Kurt Cobain. Die Frage lautet: Gehört der Tod von KC in einen Epochenbegriff? – Oder war das nur ein blöder Rock’n’Roll-Tod – in der Konsequenz eines „Nihilismus für Anfänger“.

Ich schreibe „Das war ein Medientod ersten Ranges“ mit, dann löse ich die Veranstaltung für mich auf.


Jamal Tuschick - 1. September 2013
ID 7106

Weitere Infos siehe auch: http://berlinerbuchnacht.de/


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