Unsere Neue Geschichte (Teil 9)
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„Von Waffen,
Märkten und
Mächten“
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Bewertung:
Der Journalist und Menschenrechtsaktivist Elias Bierdel verfügt über einen großen Wortschatz und ist sehr sprachgewandt. Wenn er sein Buch Fucking Greece nennt und damit einen Kraftausdruck verwendet, dann ist das der Sache geschuldet. Wem nützt die "Griechenland-Krise"? lautet der Untertitel, und auch hier sei angemerkt, dass "Griechenland-Krise" in Anführungsstrichen steht. Denn es ist keine oder besser gesagt: eine willkürlich inszenierte Krise.
Bierdel hat mehrere Jahre auf der Ägäis-Insel Lesbos gelebt und wohnt auch jetzt noch sechs Monate im Jahr dort. In erster Linie ist er für seine Flüchtlingsarbeit bekannt, er war von 2002 bis 2004 Geschäftsführer und Vorstand der Hilfsorganisation Cap Anamur, und seit 2007 ist er Gründungsmitglied und Vorstand des eingetragenen Vereins (e.V.) "borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen". Da die Medien, vor allem auch die deutschen, vielfach einseitig über die „Griechenland-Krise“ berichten und das Land diffamieren, wurde er von seinen griechischen Freunden gebeten, die Lage mal genauer zu betrachten und darzustellen. Fucking Greece kann dabei mit „Scheiß-Griechenland“ übersetzt werden, was die Ansicht vieler angestachelter Europäer sein dürfte, oder „Griechenland ficken“, was den Realitäten nach Bierdels Ausführungen sehr nahe kommt, denn dem Land wird offensichtlich auf übelste Art mitgespielt. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich ein Drama ab.
Seit ungefähr fünf Jahren stehen die griechischen Staatsfinanzen im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit, und die Griechen werden oft als faul, unfähig, raffgierig und unverschämt dargestellt. Die Massenmedien unternehmen kaum Versuche, dieses schlechte Bild gerade zu rücken und berichten selten oder gar nicht über das, was dort wirklich geschieht. Als Alexis Tsipras 2015 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, verweigerte ihm sein Amtsvorgänger die Amtsübergabe. Bierdel weist darauf hin, dass es zu keiner persönlichen Übergabe wichtiger Dokumente gekommen sei und Tsipras auch nicht vor den Mitarbeitern eingeführt wurde. Im Amtssitz des Regierungschefs, der Villa Maximos, wurde der Strom abgestellt. „Die Computeranlagen waren unbrauchbar, jede Kommunikation über E-Mail unmöglich!“ heißt es im Buch. Schlimmer noch, es wurden 7 Milliarden Euro aus dem laufenden „Rettungsprogramm“ einfach nicht ausgezahlt. Die neue Regierung sah sich einem Großfeuer ausgesetzt, „von dem sich die Löschwagen demonstrativ entfernt hatten, während die Brandstifter aus sicherer Entfernung zusahen und die hilflosen Versuche, die Flammen einzudämmen, mit höhnischen Zurufen kommentierten“. So wurde mit einem demokratisch gewählten Regierungschef eines EU-Landes umgegangen, ohne dass ein Aufschrei erfolgt wäre.
Bierdel zitiert unabhängige Quellen, die belegen, dass Griechenland gar nicht zu den marodesten EU-Staaten zählt. Im „EU-Nachhaltigkeitsranking 2014“ ist Luxemburg das Land mit der höchsten Staatsverschuldung. Griechenland ist im Vergleich nur halb so hoch verschuldet wie Luxemburg und hat 2014 sogar einen Primärüberschuss erzielt. Es befindet sich allerdings durch die Zins- und Tilgungsraten im Würgegriff.
Einer der Gründe für die hohe Staatsverschuldung ist die Rüstungsindustrie. Griechenland gehört zu den fünf größten Importeuren von Rüstung weltweit. Das mag an den andauernden Konflikten mit der Türkei liegen. Die großen Gewinner waren die Exporteure von Rüstung, darunter in hohem Maße Deutschland. - Bierdel schlüsselt auch die Vorteile (!) auf, die Deutschland durch die Hilfszahlungen an die südeuropäischen Staaten hatte, die in die Milliarden gehen. Die Krise ist ein gutes Geschäft für die Geberländer, also auch für uns.
Und, da sind ja auch noch die unbeglichenen Kriegsschulden Deutschlands aus dem Zweiten Weltkrieg. Allein die Zwangsanleihe von Griechenland in Höhe von 476 Millionen Reichsmark, die verzinst heute 11 Milliarden Euro betragen würde, wäre ein Balsam für den griechischen Staatshaushalt. Entschädigungen für die massive Zerstörung der Infrastruktur während des Krieges sind da noch gar nicht eingerechnet. (Von Massakern der SS und anderen Gräueltaten ganz zu schweigen).
Dieses so ungerecht behandelte Land hat aber ungefähr 1 Million Flüchtlinge aufgenommen, obwohl die Verelendung der eigenen Bevölkerung und die Hungersnot beträchtlich sind. Die Griechen suchen nach den Ursachen für ihre Misere aber vornehmlich im eigenen Land, weiß Bierdel. Trotzdem hätten sie wohl etwas mehr Empathie verdient.
Elias Bierdels Buch umfasst gerade mal 44 Seiten, und ja, es ist nicht wirklich ausgewogen. Vielmehr will er der Negativpropaganda vieler Medien ein paar Fakten entgegenhalten, die vielfach nicht erwähnt oder heruntergespielt werden. Denn die einseitige Berichterstattung ist hinreichend bekannt, aber das Ausmaß der humanitären Katastrophe, die sich dort abspielt, nicht.
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Das Büchlein kostet 5 Euro und 1 Euro pro verkauftes Exemplar geht an http://www.solidarity4all.gr. Auf deren Webseite steht u.a.:
„Das Ausmaß des sozialen Desasters der letzten Jahre, hervorgerufen durch die aufeinander folgenden Austeritätsmaßnahmen, hat zu einer Auflösung auch der letzten wohlfahrtsstaatlichen Elemente geführt, so dass die Situation, die in Griechenland derzeit herrscht, von vielen wahrheitsgemäß als mit der Dritten Welt beschrieben wird.“ Sie finanzieren mit den Spenden Medikamente für Krankenhäuser, lindern die Unterernährung von Säuglingen und Schulkindern, kümmern sich um die vielen Tausenden, die die Kosten für die medizinische Versorgung nicht mehr aufbringen können, und vieles mehr.
Elias Bierdel bekommt das während seiner Aufenthalte in Griechenland vor Ort mit. Er plädiert für ein geeintes und friedliches Europa MIT Griechenland. Man kann das gut nachvollziehen, außerdem liegt die Wiege der Demokratie in Griechenland, und von dort ging einmal eine Hochkultur aus, die das Abendland bis heute prägt. Der derzeitige Zustand kann und darf nicht das letzte Wort sein: „Vielmehr muss ein neuer Pakt, ein neuer Geist her, der der großen europäischen Idee frisches Leben einhaucht... Das große Projekt 'Europäische Union' muss dringend aus den Fängen nationaler Parteistrategen befreit werden.“ Unsere Zukunftsfähigkeit kann nur erhalten bleiben, wenn wir miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.
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Helga Fitzner - 23. Dezember 2015 (2) ID 9053
Elias Bierdel | Fucking Greece
Wem nützt die "Griechenland-Krise"?
44 Seiten
5 EUR
Verlag Ralf Liebe, Weilerswist, 2015
ISBN 978-3-944566-40-5
Weitere Infos siehe auch: http://www.verlag-ralf-liebe.de/programm/194/fucking-greece/
Post an Helga Fitzner
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