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Lesen im Urlaub

Sommerlektüre für Freunde des Anspruchsvollen



Bewertung:    



Noch ist Sommer – jedenfalls ab und an in unseren deutschen Landen –, und so ist der eine oder andere vielleicht noch auf der Suche nach einer geeigneten Sommerlektüre. Georg Kleins 2013 erschienener science-fiction-artiger Roman Die Zukunft des Mars wird für eingefleischte Science-Fiction-Freunde vielleicht nicht geeignet sein - für Liebhaber anspruchsvoller und zu gleichen Teilen interessanter und irritierender Romane aber vielleicht schon.

Begegnungen mit dem kulturell Anderen beginnen oftmals mit einem Kulturschock: Man hat Orientierungsschwierigkeiten, man findet sich nicht zurecht, man fühlt sich fremd und unwohl. Ganz ähnlich ergeht es einem auch zu Beginn der Lektüre von Georg Kleins Die Zukunft des Mars. Der Autor entführt den Leser im ersten Teil des Buches auf einen fremden Planeten, in eine fremde Lebenswelt, in der man ganz buchstäblich erst lernen muss, sich zurechtzufinden. Denn Klein erzählt so, dass die Lebenswelt der dortigen Bevölkerung, die uns aus der Ich-Perspektive geschildert wird, uns als bereits bekannt vorausgesetzt wird. Oder anders gesagt: der Ich-Erzähler scheint sich des Grades der Unbekanntheit, den seine Welt für uns besitzt, nicht bewusst zu sein. So muss sich der Leser vieles zusammenreimen, das Verständnis zurückstellen, auf Erläuterungen an späteren Stellen warten. Das macht die Lektüre teilweise anstrengend und ermüdend. Erzähltechnisch ist dies aber ein wirklich brillanter Griff: Selten wohl ist die Erfahrung kultureller Andersartigkeit so überzeugend zur Darstellung gebracht worden. Peu à peu erschießt sich uns eine Welt von Nachfahren von Marskolonisten, die ihr Leben mehr oder weniger auf Basis eines einzigen Lebewesens namens Mockmock, um den das gesamte Leben und Denken kreist, führen. Zudem leben sie von Altmaterialien, Fundstücke aus der Kolonialzeit. Das Leben ist streng reglementiert und von Ritualen bestimmt. Bei Zuwiderhandeln droht der Tod. Lesen kann in dieser Gesellschaft keiner mehr, keiner außer dem Ich-Erzähler, der diese Kunst von seinem Lehrer erlernt hat. Auch das Schreiben hat er sich angeeignet, und schreibt nun an die Erde. Viel Studienmaterial steht ihm nicht mehr zur Verfügung: Gerade einmal fünfzig Bände, die offenbar das Leben auf der Erde schildern, wie es vor Aufbruch der Kolonisten zum Mars gewesen war, stehen zur Verfügung.

Wie kulturelles Wissen bleiben auch die Erkenntnisse und Orientierungen in der von Klein entworfenen Marswelt nicht stabil. Der Wechsel zwischen den Schauplätzen Erde und der gen Ende des Buches zunehmende Wechsel der Erzählperspektiven irritiert immer von neuem. Die Zukunft des Mars ist aber auch ein großer Roman über kulturellen Wandel insgesamt; der Entwurf marsischer wie irdischer Lebenswelt ist dystopisch. Beide Gesellschaften sind gleichermaßen regiert von einem autoritären, auf (pseudo-)religiösen Doktrinen gründenden Regime, in dem es keinen Raum für individuelle Entfaltung, für freie Individuen gibt. Zugleich garantiert dieses System eine Ordnung und – obschon immer prekäre – Sicherheit. Der Roman ist insofern auch eine Reflexion der Zukunft politischer Systeme und deren kulturelle Bedingtheit.

Zugleich muss auffallen, welch breiter Raum Sprache, gesprochen wie geschrieben, in Die Zukunft des Mars eingeräumt wird. Auf dem Mars haben wir es mit einem beinahe vollständigen Verlust der Literalität zu tun; auf der Erde fehlen Begriffe für nicht mehr bekannte Gegenstände. Schließlich geht es auch immer wieder und in unterschiedlichen Zusammenhängen um das (Nicht-)Sprechen-Können. Dass einer der Protagonisten, Spirthoffer, Russischunterricht nimmt, um verschüttete Fähigkeiten zu reaktivieren, ist nur das offenkundigste Signal, dass Sprache in dieser Dystopie von Erde und Mars eine zentrale Rolle spielt. Die kulturelle und nicht zuletzt sprachlich fundierte Fremdheit, Irritation und Unartikuliertheit vollzieht der Leser nach – der Text ist in dieser Hinsicht performativ.

Zudem steht im Zentrum dieses Zukunftsromans, wie sollte es anders sein, die Technik oder vielmehr: der Verlust an Technik und der Umgang mit diesem Verlust, die Rekonstruktionsbemühungen des längst Vergangenen anhand von Restbeständen, Altmaterialien, objets trouvés.

Georg Klein zählt mit Sicherheit zu den besten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Seine Sprache ist detailreich, liebevoll und von einer selten da gewesenen Eleganz. Spannung ist vielleicht nicht das, was diesen Roman auszeichnet. Dafür wird man, mit fortschreitender Entwicklung der kulturellen Kompetenz in diesen fremden Gesellschaften, seine Freude an den fremden Welten haben – und an der beeindruckenden Erzählkunst Georg Kleins.
Ann-Kristin Iwersen - 1. August 2015
ID 8783
Georg Klein | Die Zukunft des Mars
384 S., Tb.
EUR 10,99
rororo, 2015
ISBN 978-3-499-24486-5


Weitere Infos siehe auch: http://www.rowohlt.de/


Post an Dr. Ann-Kristin Iwersen



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