Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 2

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Lesung

„Wer andere erniedrigt,

erniedrigt sich selbst.“

Miriam Mandelkow (Übersetzerin) und Mithu Sanyal (Autorin und Journalistin) diskutierten über das Oevre von James Baldwin



Aktuell sei sie vom politischen Geschehen erschüttert, gesteht die Gastgeberin Barbara Ter-Nedden begrüßend. Die Inhaberin der Parkbuchhandlung in Bad-Godesberg dachte jedoch an diesem Aschermittwoch an James Baldwin (1924-1987), dessen hundertster Geburtstag im vergangenen Jahr war. Seine auch politische Forderung, optimistisch zu bleiben, hat sich der US-amerikanische Autor bei aller sozialen Ungerechtigkeit stets bewahrt.

Die angekündigten Diskutantinnen Miriam Mandelkow und Mithu Sanyal treten gutgelaunt auf die Bühne. Sie kennen sich schon von früheren öffentlichen Lesungen über James Baldwin und meinen verschwörerisch: „Lauschen Sie der Fortsetzung unseres Gesprächs.“ Plaudernd steigen sie gleich mit Anekdoten ein. Die gebürtige Niederländerin Miriam Mandelkow verrät, dass die bekannte dtv-Edition mit ihren Übersetzungen das Werk Baldwins nicht chronologisch präsentiere.

Ein Fokus des Abends widmet sich der Übersetzung von Literatur. Mithu Sanyal fragt die Anglistin und Amerikanistin Miriam Mandelkow, warum der Titel von Baldwins autobiographischen Debütroman Go Tell It on the Mountain (1953) in deren deutscher Übersetzung Von dieser Welt (2018) lautet. Übersetzer hätten oft wenig Einfluss auf deutsche Titel, lacht Mandelkow, die für ihre Übersetzung den Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis erhielt. Vorgänger-Übersetzungen hätten den Titel eingedeutscht. Dies sei heute nicht mehr zeitgemäß. Der Spiritual ließe sich nicht gut übersetzen, so Mandelkow. Das stark autobiographische Werk behandele einen Vater-Sohn-Konflikt und der biblische Anklang sei ein Leitmotiv des Romans.

Heute müsse man sich auch fragen, wie übersetzt man das N-Wort, so Mandelkow. Schwarze wurden in der Vergangenheit oft auf ein Jenseits vertröstet, wenn es hieß, erst in einer anderen Welt werde ihnen Gerechtigkeit zuteil. Eine ihnen fälschlicherweise zugeschriebene Unfähigkeit zu lieben, rechtfertigte für Sklavenhändler oftmals ihre Verbrechen. Mandelkow gesteht, dass es mitunter nicht leicht sei, der Stimme des Originals gerecht zu werden, wenn es darum ginge, dass Rassismus bis unter die Haut gehe. Sanyal problematisiert, dass es auch in der Literaturgeschichte viel „whitewashing“ gebe. Theorien zufolge sei sogar Shakespeare eigentlich eine schwarze jüdische Musikerin gewesen, Emilia Bassano.

Sanyal und Mandelkow bewundern Baldwin als Stilisten einer Unmittelbarkeit und heben seinen Glauben an eine geteilte Menschlichkeit hervor. Eingangs berichten beide über seine Biografie: Der in Harlem, New York City, geborene Baldwin war Jugendprediger in einer Pfingstgemeinde. Seine intensive Bibelkenntnis spiegelt sich auch in seinem literarischen Werk wieder. Baldwin wurde von Anhängern als Prophet oder Zeuge der Kirche wahrgenommen. Mit einer Abkehr vom Vater ging jedoch bei ihm auch eine Abkehr von der Kirche einher. Im Alter von 24 Jahren floh er 1942 aus der USA nach Frankreich, um familiärer Enge und auch Hass und Gewalt zu entkommen. 1957 kehrte Baldwin in die USA zurück, um sich vor Ort an der Bürgerrechtsbewegung zu beteiligen.

Die Schriftstellerin Mithu Sanyal schrieb 2022 das Vorwort zur Neuübersetzung von Baldwins erster Essaysammlung Von einem Sohn dieses Landes (1955). Sanyal, die schon als junge Frau Baldwins Essaywerk las, findet bemerkenswert, wie der US-Schriftsteller in Aufsätzen wie Der Fremde im Dorf über das schweizerische Leukerbad seine persönliche Biografie mit politischer Reflexion verbindet.

Baldwins literarisches Werk zeichne sich durch ein Ganzkörpererlebnis aus, da das Erzählte oftmals in rhythmischen Wellen musikalisch dahingleite, sind sich die beiden Frauen auf dem Podium einig. Baldwins Ton zeichne sich durch eigene Sprachrhythmen aus. Es gebe Satzkaskaden, Verschlingungen und Punklandungen auf Worten wie „pain“ oder „white“. Mandelkow erzählt, wie sie versucht, dies stets auch adäquat ins Deutsche zu übertragen. „Translate“ bedeutet für sie auch, es zu „verwandeln“. Auch Musik spielt in Baldwins Werk mitunter eine nicht unwichtige Rolle, wie etwa das Oeuvre der Blues-Sängerin Bessie Smith.

Mandelkow liest den Beginn des Romans Beale Street Blues (1974) vor, der 2018 in ihrer Übersetzung hierzulande neu erschien und im gleichen Jahr oscarprämiert verfilmt wurde. Hier werden zwei junge Liebende durch Rassismus voneinander getrennt und ein junger Mann wird gesellschaftlich fallen gelassen. Trotz seiner Tragik gerät der Roman durch eine gefühlvolle Orchestrierung der Figuren nie einseitig. Neue Perspektiven innerhalb des Werks sorgen für unterhaltsame Reibung.

Giovannis Zimmer (1956) endet ebenfalls tragisch. Hierzulande sei dieser Roman das wohl bekannteste Werk Baldwins, so die beiden Podiumsteilnehmerinnen. Die Liebe zweier weißer Männer wird dadurch entzweit, dass einer nicht zum eigenen homosexuellen Begehren stehen kann. Damalige Verlage rieten Baldwin dazu, sein Manuskript zu verbrennen. Der dialogstarke Roman wurde übrigens 1988 am Ort der Lesung, dem Theater Bonn, aufgeführt. Sanyal und Mandelkow meinen, dass Baldwins Homosexualität gegenüber seinem Kampf gegen Rassismus oft in den Hintergrund rücke. Mit Verweis auf Foucault wollte Baldwin nicht auf eine Identität als Homosexueller reduziert werden, wenn er „gay“ als „verb“ begreift: „was ich tue, nicht was ich bin“. Trotzdem begegnete die Black Panther Bewegung ihm nicht nur als Liebling des Establishments abweisend, sondern auch aufgrund seiner Homosexualität. Er wurde hier mitunter abwertend „Martin Luther Queen“ genannt.

In der anschließenden Publikumsdiskussion fragt ein Besucher Mandelkow, wie sie die kontroverse Debatte um die Übersetzung von Amanda Gormans Inaugurationsgedichtes aufgenommen habe. Mandelkow meint, diese Diskussion sei vom Feuilleton falsch zugespitzt und verschenkt worden, da eine faire Verteilung des Marktes zu wenig Thema gewesen sei: „Unsere Branche ist verdammt weiß, nicht divers.“ In der anschließenden Publikumsdiskussion geht es dann noch um Baldwins nicht erwähnten Prosa-Werke. So schrieb der Autor auch zwei Dramen, Gedichte oder ein Kinderbuch. Zu guter Letzt loben Miriam Mandelkow und Mithu Sanyal einhellig Baldwins sprachliche Ausdrucksfähigkeit, die stets Vertrauen entfache in ihrem Ringen um Wahrhaftigkeit.



Übersetzerin Miriam Mandelkow und Schriftstellerin Mithu Sanyal (rechts) sprechen in der Pause mit Besuchern über die unterschiedlichen Werke von James Baldwin | Foto © Ansgar Skoda

Ansgar Skoda – 8. März 2025
ID 15178
Weitere Infos siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/James_Baldwin


Post an Ansgar Skoda

skoda-webservice.de

Bücher

Lesungen



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeige:




LITERATUR Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AUTORENLESUNGEN

BUCHKRITIKEN

DEBATTEN

ETYMOLOGISCHES
von Professor Gutknecht

INTERVIEWS

KURZGESCHICHTEN-
WETTBEWERB
[Archiv]

LESEN IM URLAUB

PORTRÄTS
Autoren, Bibliotheken, Verlage

UNSERE NEUE GESCHICHTE
Reihe von Helga Fitzner



Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal





Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2025 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)