Literarischer Alpinismus
Der Berg ruft und Albert Ostermaier erzählt im Prenzlauer Berg von einem Ballermann für reiche Russen
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Das ist Albert Ostermaier auf einer Lesung in der Berliner Buchhandlung Uslar & Rai - Foto (C) Jamal Tuschick
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„Letzte Abfahrt Kitzbühel“ spielt an einem Tag im Januar 2013. Der Titel zitiert den Schauplatz, ein zermürbtes Paar verstärkt das Publikum am „Streif“. „Die elektrischen Zahnbürsten sind alles, was von (seinem) Gleichklang geblieben ist.“
In Kitzbühel, so viel wird schnell klar in Albert Ostermaiers schnell geschriebenem Roman [Seine Zeit zu sterben, Anm.d.Red.], kotzen Kinder in Kaschmirkapuzen. Ihre Väter tragen himmlische Sakkos wie von einem Himmler als Schneider. Sie vibrieren übertourig an den Grenzen zum Faustrecht, kurz davor, „jeden Einwand mit Geld oder Gewalt zu stoppen“. „Wer sich nicht kaufen lässt, den kaufen sie sich.“
„Frieden ist nur ein anderes Wort für Krieg:“ In dieser Welt werden Rotweinflecke mit Weißwein bekämpft. Das Bier fließt mit dem Urin einer russischen Internationale der Reichen zusammen. Ihre SUVs gleiten „wie Ufos“ entlang der Schneestrände.
So ist die Lage vor Ort, Ostermaier berichtet davon in der Prenzlauer Berg-Buchhandlung Uslar & Rai. Vor der Tür Konnopke’s Wurstwahrzeichen und ein Wetter wie in alten Spionagefilmen. Ostermaiers Lektor Raimund Fellinger hat schon die Meriten des Autors in eine Aufzählung gebracht. Ostermaier steckte die Vorrede kalt lächelnd weg, ganz bayrischer Baal. – Ein Typ wie Fatzer, so kommt mir Ostermaier vor. „Im Hoffnungslosen soll Fatzer Fuß fassen“, schreibt Walter Benjamin. Ostermaier variiert das, jemand erscheint „wie ein Lord bei der Armenspeisung“.
„Brutalo-Sanftblüter“, so substanziell „wie parfümierte Luft“, erdrosseln „Leute mit ihren Stimmbändern“. Jederzeit könnten sie dazu auch „Streifreizwäsche“ ihrem Zweck entfremden. Sie sehen schon, Ostermaier bietet so viele Bilder an, dass man die Geschichte aus dem Blick verliert. Über ein Sportlerschicksal: „Wenn sich die Schrauben im Körper aufladen mit Schmerz.“ Wenn ich das richtig verstanden habe, charakterisiert der Stahl im Leib einen Superskiläufer der letzten Saison. Nach einem Sturz erwartet Franz Huller sein Ende als Skilehrer. „Ihm steht das Wasser bis zum Hals“, obwohl so lange ihm „keiner das Wasser reichen konnte. ... Warum hatte er nicht rechtzeitig sterben können.“
Ich schweife ab und trudele in den neo-barocken Tiraden und einer kalauernden Kunstfertigkeit. Also, Huller ist am Ende – und das Paar an seinem vorläufigen Ende ergänzt Yvonne mit Christoph. Igor heißt der Sohn. Manchmal glaubt Christoph, „Yvonne sei der Tumor in seinem Kopf. Er liebt sie, wie man einen Feind liebt.“ Einen noch besseren Feind hat Christoph auf jeden Fall im undurchsichtigen Vladimir.
Und über allem droht der Wilde Kaiser. Alles schaut zum Hahnenkamm, da verschwindet Igor aus seinem Skikurs. Man sucht das Kind im Schneesturm so wie in diesem Spektrum: „Tatar und Tartaren, Tattoos und Tabus, Titeltunten und Tittentorpedos, Panzerkreuzer und Kreuzersonaten, Lenin in Platin und Stalin in Stahl, Rasputin und Putinraster, Flüchtlinge und Flüchtige, Wodka und Wotan, Traurigkeit und Trüffel, Weißbrot und Wasser, Ikonen und Ich-Drohnen, Grills und Grillen.“
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Das ist nochmal Albert Ostermaier auf der besagten Lesung in der Buchhandlung Uslar & Rai - Foto (C) Jamal Tuschick
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Jamal Tuschick - 26. September 2013 ID 7189
Albert Ostermaier / Seine Zeit zu sterben
305 S., geb., 18,95 €
Suhrkamp Verlag, 2013
ISBN 978-3-518-42382-0
Weitere Infos siehe auch: http://www.suhrkamp.de/buecher/seine_zeit_zu_sterben-albert_ostermaier_42382.html
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