Die Rumbalotte als Ort der Entrückung
Ann Cotten stellt in Berlin ihren ersten Erzählband vor
|
|
Gleich, ob Falke, ob Sturm oder großer Gesang, wenn Ann Cotten in der Rumbalotte liest, wird die Spelunke zum Schweigen gebracht. Das Publikum stiftet Sinnbilder der Entrückung. Ein paar „deplatzierte Glanzstücke“ demonstrieren verträumtes Gucken am Tresen. Stilistisch variieren sie frühe Suhrkamp-Termine, diese Schäume aus jungen Menschen und verwahrlosten Spitzenkräften der Kultur. Der kahle Greis zu ihren Füßen scheint geradezu erpresst von Devotion. Er schlägt die Hände vor den Kopf und behält sie da. Flagellanten kreuzen auf, die Stimmung ist kurz vor Lux aeterna. Ann Cotten bespricht die Unzuverlässlichkeit des Lichts. „Grammatik erniedrigt die Instinkte“ weiß ein lyrisches Ich. Es behauptet unpomadig: „Du denkst mit genug Muskeln.“
In der Hauptsache stellt Ann Cotten in der Rumbalotte ihren ersten Erzählband Der schaudernde Fächer vor. Ein Tempelfest steht an, die Musik dazu klingt wie eine Vertonung der Mysterien von Angkor Wat. Die Erzählerin sieht Gesichter in Maserungen und entdeckt „ein Echo ihrer Kindheit im Holz“.
Immer wieder stockt der Vortrag, der Tempel „feiert seine eigene Erosion“. Ann Cotten suggeriert, erst in Gegenwart der Andächtigen für sämtliche Dimensionen ihrer Kunst den nötigen Anlauf nehmen zu können. Zugleich verwandelt sich die Rumbalotte in ein aufnehmendes Organ wie aus den Betriebskellern der Donnerkuppel. Mad Max humpelt zu seinem Kumpel Papenfuß, der Schaudernde Fächer schlägt in der japanischen Landwirtschaft zu. Dass sich da zwei küssen ist unvermeidlich und trotzdem nicht schön. Die Erzählerin nimmt jedenfalls Anstoß daran, sie zieht sich „zum Urinieren“ nicht allzu weit zurück. Und hat dann mit ihrem Kimono zu tun. Heißt sie Chiëko? Umständlich erzählt Ann Cotten, wie man Kimonos öffnet und schließt. Ob sie die Inbrünstigen auch manchmal verarscht? In einer Auffaltung ihrer vergrübelten Performance könnte die Freude am Spott sich verbergen. Ein prahlender Riese spielt in der Zwischenzeit und gegen seine Langeweile mit dem Smartphone. Er rennt immer wieder vor die Tür der Rumbalotte, sie ins Schloss hauend und kommt dann zurück, um zu gucken, ob sich einer auf seinen Hocker gewagt hat. Die (seine Ignoranz und Auffälligkeit) strafenden Blicke treffen ihn nicht. Da steht ein Sieger, der denkt mit genug Muskeln.
|
Jamal Tuschick - 9. November 2013 (2) ID 7352
Ann Cotten | Der schaudernde Fächer
Gebunden, 251 S.
21,95 € (D) | 22,60 € (A) | 31,50 sFr
Suhrkamp Verlag, 2013
ISBN: 978-3-518-42389-9
Weitere Infos siehe auch: http://www.suhrkamp.de/buecher/der_schaudernde_faecher-ann_cotten_42389.html
Post an Jamal Tuschick
Zu den anderen AUTORENLESUNGEN
|
|
|
Anzeige:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUTORENLESUNGEN
BUCHKRITIKEN
DEBATTEN
ETYMOLOGISCHES von Professor Gutknecht
INTERVIEWS
KURZGESCHICHTEN- WETTBEWERB [Archiv]
LESEN IM URLAUB
PORTRÄTS Autoren, Bibliotheken, Verlage
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|