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Lesung


Niemandsland mit Küche

Christa Schmidt liest in Britta Gansebohms Literarischem Salon im Haus des Aufbau Verlags aus ihrem neuen Roman – „Ich bin’s“ erzählt von einer Verstörung


Foto (C) Jamal Tuschick



Was geschieht, wenn sich Erfahrungen nicht verwandeln im ordnenden Gebläse des Imaginären und Symbolischen? Antwortet man mit Lacan, tritt dann „Das Reale“ auf. Christa Schmidt verlegt an einer Stelle ihres Romans diesen psychoanalytischen Schlüssel zum Verständnis einer – und das garantiert den Reiz – narrativ akkurat zerfallenden Persönlichkeit.

Nach Lacan ist Realität eine Fiktion, die kollektiv praktiziert wird. „Das Reale“ lässt sich nicht fiktionalisieren. Es kommt also vor, wenn aus einem Schock keine Story zu machen ist. Das erlebt der Berliner Industriefotograf Victor. Beruflich inszeniert er Herzschrittmacher „mit einer verlässlichen Ästhetik“. Seine Bilder passen zum Porsche-Design der Biotechnologie. Privat schafft er sich sein eigenes Licht mit extremen Belichtungszeiten. Das Traumlicht illuminiert seinen paranoiden Niedergang. Victor bricht im Atelier einer verschollenen Geliebten ein. Die Malerin Annusch hat sich mit einem Bild verabschiedet, das den Zurückgebliebenen verstört. Es wiederholt die Motive von „Judith und Holofernes“ mit Personal der Gegenwart. Annusch sieht sich als Judith mit dem von ihr abgeschlagenen Kopf eines polnischen Bekannten als Ersatzmann für Holofernes in der Hand. Assistiert wird ihr von der Tierärztin Grit.

Als Auftraggeber dieser Kunst identifiziert Victor „eine ungeheure Wut“. Nun fragt er sich, ob Annusch zu einem Mord fähig ist. Er erinnert an ihre erste Begegnung, in deren Vorspiel „eine Erscheinung, wie entflohen aus einem Film, den er nicht anschauen würde“, auftauchte. Victor vermutete die Erscheinung lebhaft in Schöneberg und gab da dem Zufall die Chance einer Begegnung. Er begegnet der Malerin. Sie trug Bleistifte im Haar. Bald rühmte sie die Muskulatur an Victors Armen. Sie sagte: „Deine Haut lächelt, wenn ich sie streichle.“

Das liegt in der Vergangenheit, die Gegenwart konfrontiert Victor mit „Defekten und Verschleißerscheinungen, die ab vierzig einsetzen“. Der Geront „spürt einen Druck hinter den Augen.“ „Das zweite Glas Whisky“ bringt ihn nur „zu einer milderen Anspannung“.

Victor trifft Grit in ihrer Praxis, er führt sie zum Grund seiner Verstörung. Grit erkennt „mehr Schmerz als Zorn“ im Gesicht der Judith-Annusch. Das passt Victor nicht, Frauen sind ihm generell Übelquellen. Seine Mutter „hält er für einen Fluch“. Er kommt zu einer Beretta. (Sah eben nach, die Firma existiert seit 1526 und blieb seitdem im Familienbesitz) Victor bietet seine Wohnung „kein Zuhause“ mehr. Er „befindet sich in einem Niemandsland“, in dem er nur den Weg zur Küche kennt. So trifft ihn „Das Reale“.


Jamal Tuschick - 23. November 2013
ID 7391
Christa Schmidt | Ich bin's
Klappenbroschur mit Fadenheftung
160 Seiten
€ 15,90
Hanani Verlag, 2013
ISBN 978-3-944174-17-4


Weitere Infos siehe auch: http://www.hanani.de/bue/Christa_Schmidt.html


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