Unter der Hochbahn
Gerd Schönfeld erzählt im Prenzlauer Berg vom Prenzlauer Berg
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Das ist Gerd Schönfeld bei seiner Lesung im Berliner Café Yolande am 9. Februar 2014 - Foto (C) Jamal Tuschick
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„Wenn Hunde sprechen könnten, würden sie auch stottern.“
Diese Vermutung stärkt das stotternde Ich in einem Briefroman von Gerd Schönfeld. Der Erzähler scheitert an Vokalen. Er zieht sich aus der Affäre mit Worterweiterungen. So werden aus Elstern Schackelstern.
Schönfeld spielt Klavier auf Beerdigungen. Den Prenzlauer Berg kennt er aus der Murmelperspektive seiner Kindheit. Im Café Yolanda (Senefelderstraße) will er von jeder wissen, wo sie herkommt. Eine sagt Friedrichshain, das ist Schönfeld zu allgemein. Die Verhörte gibt ihre Anschrift am Strausberger Platz preis, der Autor führt aus: „Da war das erste Reformhaus der DDR und gegenüber stand das Haus des Kindes.“
Der Franz im Roman schnappt auf und schreibt nieder. Seine Nägel tragen Trauer zur Zeit der Kohleöfen und halben Treppen. Die Versorgungslage bleibt prekär, an allen Ecken und Enden muss gespart werden. Die Krise nistet behaglich im Alltag. Not verstellt sich als Tugend: „Was machst du für ein Gesicht? Die Schuhe werden wieder modern. Mode wiederholt sich.“
(Vorkriegs-) Friedensware bürgt für Qualität. Weißkohl gibt es eine Woche lang. Dann gibt es eine Woche lang Rotkohl. „Die Gier nach Fett bis zur Verkalkung.“ Es stinkt nach Klo und Küche nicht nur im Korridor.
Überlebensfloskeln bestimmen das Vokabular, Heringssalat ist ein Höhepunkt. Das Leben des Erzählers dreht sich um Konfirmation, Sommerferien, Tante Herta – und Brieffreund Onkel Karl.
Tante Herta hat ihr ganzes Leben. Im Zweifelsfall schwer gearbeitet. Schon mit vierzehn kam sie als kleines Licht zu Osram. Im Café Yolanda hängt ein Rettungsring. Es gibt noch mehr Anspielungen auf maritime Gemütlichkeit. Ab und zu dreht sich die Wirtshaustür in antiken Angeln. Dann schaut verdutzt einer, der mit Rosen geht oder die Obdachlosenzeitung austrägt oder auf ein Bier hereinschneit. Das Urgestein am Pult des Geschehens freut sich hausherrlich über jede Nase. Hängt immer ne Geschichte am Rotz.
Die deutsche Teilung ist ein großer Prozess, Schönfeld steht im Zeugenstand. Die Teilung vollzieht sich gegen den eingefleischten Widerstand der über das Stadtgebiet hinaus verwandtschaftlich verästelten Berliner Bevölkerung. Schönfeld meldet die Verluste von hinten durch die Faust ins Auge. Sein Franz unterscheidet die Grenzer nach Hunderassen. Riesenschnauzen treffen Schäferhunde.
Der Autor kolportiert den Mutterwitz und die kesse Lippe seiner Leute. Er erinnert an obsolete Tramgeräusche und Berufe, wie Scherenschleifer und Drehorgelspieler. Er geht die Typen soziologisch durch. Da gibt es den Philosoph im Gummimantel, den noch keiner je was sagen hörte, einen Dompteur für fleischfressende Pflanzen, und einen Lumpen voll Reue. Schönfeld erzählt von einem Verrat, den der verratene Betreiber einer Bude mit einem Schild quittiert. Auf dem Schild steht: „Wir nehmen auch Lumpen an.“ Außerdem Altpapier. Eines Tages gleitet der Lump in den Laden, geht wortlos durch und hängt seine Schäbigkeit im Klo auf. „Das war ein stolzer Mann.“
Schönfeld schreibt Romane in drei Sätzen. Sie spielen vor Konnopkes Wurstimperium auf einer Verkehrsinsel und unter der Hochbahn nach Pankow. Auf der Insel isolieren sich Invalide. Kriegskrüppel, die aus dem Verkehr in geordneten Bahnen gezogen wurden. Sie drehen ihren Tabak in Telefonbuchseiten. Schönfeld schmiert dem Horror Honig ums Maul: „Der Mann ohne Beine nahm einen Schluck aus seiner Taschenflasche: 'Als ick nach Hause kam, stand meine Valobte vor mir und sagte keen Wort. Die kiekte mir nich eenmal ins Jesicht. Stierte und stierte. Nur dahin, wo sonst meine Beene wärn. Luise, sage ick. Ick wollt ma schon entschuldijen. Und denn is se wegjerannt. Ne Woche später kam Post. Für ne Ehe, schrieb se, hätte se noch nicht die nötige Reife.'“
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Jamal Tuschick - 11. Februar 2014 ID 7593
Gerd Schönfeld | Schackelstern
Mit einem Nachwort von Martin Linzer
Zeichnungen von Mareile Fellien und Fotos vom Autor
Hardcover, 144 Seiten
Preis: 15,80 EUR
Basis Druck Verlag
ISBN 978-3-86163-148-4
Weitere Infos siehe auch: http://www.basisdruck.de//product_info.php?products_id=190
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