Ewiger Widerstand
Gerhard Wolf spricht im Berliner Ensemble mit seiner Enkeltochter Jana Simon
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Jana Simon signiert Sei dennoch unverzagt - Foto (C) Jamal Tuschick
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Er will sich nicht helfen lassen, der alte Antifaschist im ewigen Widerstand. Unwirsch weist Gerhard Wolf ein Angebot zurück, im stützenden Geleit auf eine Bühne des Berliner Ensembles zu gelangen. Bloß keine fürsorgliche Belagerung. Gerhard Wolf schwankt, aber er fällt nicht.
Es ist ihm sichtlich zu hell. Er beschirmt die Augen, zeigt Unmut im Spiegel der Mimik. Seine Enkelin Jana Simon hat Gespräche mit den Großeltern unter dem Titel Sei dennoch unverzagt zusammengefasst, nun liest sie im Wechsel mit dem Opa. Im Kampf der Generationen verbünden sich die Enkel mit den Greisen. Sartre so ungefähr.
Der Opa ist in einer Doppelrolle, er liest seine Frau gleich mit. Sechzig Jahre lang war er mit Christa Wolf zusammen, seit ihrer ersten Begegnung in Jena anno neunundvierzig. Er kam in den SA-Stiefeln des Vaters zum Date. Sie hatte aus einer Krankenhausdecke den Mantel sich geschneidert. Man trat in die SED ein, die Idee der sozialen Gerechtigkeit trieb beide an. Christa Wolf: „Ich war so begeisterungsfähig. Ich musste mit meiner Begeisterung irgendwo hin.“ Und Hitler ging ja nicht mehr.
Gerhard Wolf: „Die Eltern hatten alles gegen den Baum gefahren“, die Jungen wollten es besser machen. Privat schlitterte das Paar über die vereiste Saale. Es stritt wie verrückt und las den ganzen Hauptmann „in der Mansarde der Witwe Specht“.
Das und noch viel mehr erzählt das Ehepaar dem Nachwuchs ab Sommer 1998. Jana Simon ist 25, sie wird gerade Journalistin. Ihre Fragen sind nicht rücksichtsvoll, die Antworten sind das auch nicht.
Christa und Gerhard Wolf zogen von Jena nach Berlin, sie wohnten in der Friedrichstraße. Biermann war ein Nachbar in der Chausseestraße: bis zu seiner Ausbürgerung. Als die Eheleute dagegen unterschrieben, wurden Gerhard Wolf und andere aus der Partei geschlossen. Alte Spanienkämpfer sagten: „Solche wie euch haben wir früher gleich erschossen.“
Für Jana Simon ist diese Entschlossenheit eine seltsame, fremde Welt. Für die resoluten Großeltern ist das politische Laissez faire der Nachgeborenen unbegreiflich. Gerhard Wolf über die Papenfuß-Riege im Prenzlauer Berg: „Die waren ja noch nicht mal Kommunisten jemals gewesen. Die waren ja nüscht, nur Künstler.“
Christa Wolf wird nicht ausgeschlossen, Honecker sucht das Gerede unter vier Augen. Er zieht die Schriftstellerin in eine Ecke: „Hier kannst du offen reden, hier werden wir nicht abgehört.“
Für die Wolfs ist alles politisch, Parteitagsbeschlüsse machen Christa krank. Gerhard Wolf trocken: „Nach dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 musste sie in die Charité.“
Grundsätzlich sei das Verhältnis zur Staatsführung „familiär“ gewesen: „Wir wurden überwacht, ich habe zum Konrad Wolf gesagt, mach was, sonst gehen wir. Der hat dann mit seinem Sohn Markus geredet und dann hat das aufgehört.“
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Gerhard Wolf im BE - Foto (C) Jamal Tuschick
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Jamal Tuschick - 3. Oktober 2013 ID 7214
Jana Simon | Sei dennoch unverzagt. Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf
288 Seiten
€ 19,99 [D], € 20,60 [A], sFr 27,90
Ullstein Verlag, 2013
ISBN 9783550080401
Weitere Infos siehe auch: http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullsteinhc/buch.php?id=42815
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