Boros / Bunker / Berlin
Jochen Rausch liest aus seinem Roman „Krieg“ in dem Kunstbunker von Christian Boros
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Goldfinger, der Autor und die Bunkerbeute. Ist alles Kunst | Foto (C) Jamal Tuschick
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Krieg und Kunst im Keller
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Berlin-Mitte, Albrechtstraße/Reinhardtstraße: „Wir befinden uns in einem Hochbunker“, erklärt Christian Boros in seiner Eigenschaft als Herr im Haus. Er tritt als Gastgeber einer Lesung seines Freundes Jochen Rausch auf. Boros und Rausch sind aus Wuppertal, Rundfunk-Redakteur Rausch lebt da noch. Er hat seine Familie mitgebracht. Die Angehörigen drehen skeptisch die Köpfe. Hinter ihnen liegen sibirische Stämme, gestrandet einst in Island. Olafur Eliasson schaffte die Bäume nach Berlin und erklärte sie zu Berliner Treibholz. Ob Treibholz mit sibirischem Stammbaum oder Treibgut aus allen deutschen Provinzen. Ist jetzt alles Kunst & Bohème. Solche Metamorphosen kann man doch dem Wuppertaler Nachwuchs gar nicht plausibel machen.
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Der Hausherr, Christian Boros, spricht - Foto (C) Jamal Tuschick
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Es gibt keine phonetische Differenz zwischen Burroughs & Boros. Als ich zum ersten Mal von Boros und seinem Bunker hörte, dachte ich, es sei von Burroughs die Rede. Burroughs hat in New York in einem Bunker gelebt, mehr dazu in A Report from the Bunker. Gebaut wurde der „Reichsbahnbunker Friedrichstraße“ 1942 nach Plänen von Albert Speer und nach Maßgaben des „Führer-Sofortprogrammes“ zur Schaffung ziviler Luftschutzanlagen. Speer musste dafür seine Arbeit an dem urbanen Mammut „Germania“ als hypertropher Transformation der Hauptstadt einstellen. Der Ausbau des Berliner Untergrunds zum Schutz der Bevölkerung hatte lange keine Priorität. Hitler sah den Deutschen so: „Der kennt keine Angst vor dem Krieg und geht nicht wie die Maus in die Erde.“
Daran erinnert Boros in heiterer Vorrede. In seinem Bunker kamen viele auf die Welt. Manche seien da gezeugt worden. Woher das jemand so genau wissen will? Egal, „der Angstraum“ fasste zweitausend Personen. Boros verdoppelt die Zahl in einem Narrativ der Not. Nach der Kapitulation quartierte die Rote Armee vor Ort Gefangene ein. Eine besondere Thermik qualifizierte den Bunker zum Gemüsedepot des Volkseigenen Obstkombinats Berlin. „Hier wurden auf fünf Etagen kubanische Bananen gelagert.“ Den Bananen folgten nach 1989 die Masochisten und ihre Antagonisten, Boros spricht „vom größten SM-Club der Welt“.
Der Club wurde verboten. Nach den Fetischisten kamen die Technokraten. Sie feierten bis 1996 „die härtesten Partys in der Bundesrepublik“.
Wuppertaler Wahn und Rausch im Radio
Boros passt in die Serie der Superlative. Er ist dem Bunker häuslich aufs Dach gestiegen, es gelten die Bauvorschriften für das Einfamilienhaus mit Keller. Er scheint sich daran zu erinnern, dass es heute Abend nicht um ihn seinen Bunker und die Sammlung geht, sondern um noch mehr Wuppertaler Wahn und Rausch und Radio im Gespräch mit Jörg Thadeusz. Der Journalist redet mit dem Kollegen über die Zukunft des Radios: „Wir verlieren unsere klassischen Verbreitungswege im Internet.“
Rausch sieht sich bedroht vom Schicksal der Berufsjugendlichkeit, als Radiojournalist mit begehbarem Plattenschrank. Seine Untergebenen begrüßen ihn als den Mann aus den Siebzigern. Damals sagte man einem DJ noch, was er spielen sollte: „Das waren die Linksaußen jeder Mannschaft, Leute, die sonst nichts konnten.“
„Das Schlimmste, was dir in den Siebzigern passieren konnte, war die Verwechslung mit einem vom Rauschgiftdezernat.“
Rausch ist das passiert. Der Kriegsdienstverweigerer hat ein Buch geschrieben, das den deutschen Einsatz in Afghanistan in begreifbare Nähe rückt. „Der Einzelne kann Pazifist sein, aber wahrscheinlich kann das ein Staat nicht“, sagt der Autor im Anschluss an einen Treppenwitz der Geschichte: Da hat einer aus seiner Generation den Kriegsdienst im Einklang mit dem Zeitgeist nach '68 verweigert und muss nun damit klarkommen, dass sein neo-konservativer Sohn in Afghanistan Soldat aus freien Stücken ist.
Das entspricht der Konstellation im Roman. Ein Mann, „manchmal glücklich und meistens normal“, verliert die Gewissheiten seiner Existenz auf unergründliche Weise. Die Heimsuchungen bleiben gesichtslos.
Der Mann heißt Arnold Stein, sein Sohn Chris lebt mit Sandra zusammen. Zuzeiten verabredet sich das Paar zum gemeinsamen Fremdgehen in einem Hotel. Da begegnen sich Sandra und der Soldat wie Fremde, die sich so anziehend finden, dass sie sich sofort ausziehen müssen. In der letzten Nacht vor Afghanistan machen sie noch einmal ... und vielleicht zum letzten Mal so.
Arnold lebt mit einem Hund, den er Hund nennt, auf einem Berg, den er Berg nennt. Dazu Rausch: „Ich hasse es, wenn mir jemand stundenlang eine Wiese beschreibt.“
Er zitiert einen Kollegen, ich überhöre den Namen, mit dem Rat: „Alles weglassen, was Leser überspringen.“
Rausch spielt zu seiner Schnörkellosigkeit die Stimme von Angela Merkel ein. Die Kanzlerin äußert sich zu deutschen Verlusten in einem Krieg, der als Maßnahmen des Technischen Hilfswerks im Auslandseinsatz deklariert wird. Auf seinem Berg gerät Stein in einen ebenso unerklärten Krieg mit einem unsichtbaren Feind, wie gesagt. Das Grauen kriegt kein Gesicht in Krieg.
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Jochen Rausch (rechts) im Gespräch mit Jörg Thadeusz | Foto (C) Jamal Tuschick
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Jamal Tuschick - 20. September 2013 ID 7169
Jochen Rausch | Krieg
219 Seiten, EUR 18,99
Berlin Verlag
Weitere Infos siehe auch: http://www.jochenrausch.com
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