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Lesung

Katja Kettu

Wildauge


Das ist Katja Kettu | Foto © Ofer Amir

Mit ein bisschen Phantasie endet der Bürgerpark in seiner Weitläufigkeit da, wo es „die schönsten Bücher aus dem Norden“ gibt – bei Pankebuch in der Pankower Wilhelm-Kuhr-Straße. Früher hätte ich aus der Atmosphäre mit all ihren Anwehungen vom Frühling bis zum Herbst einen Roman gemacht, heute erinnere ich lediglich daran, dass in dieser Gegend die erste Regierung der DDR installiert war. Die finnische Starautorin Katja Kettu ist zu Gast in der Buchhandlung, sie könnte ihrer Titelheldin Wildauge Modell gestanden haben. Wildauge sei „eine Naturgewalt“, heißt es. Sie ist weise, Heilpraktikerin und Hebamme – eine schamanische Bademeisterin „In ihren Handgelenken schäumt die Wut der ewigen Berge." Totem und Tabu - „Denn wer das Leben geben kann, der kann es auch nehmen.“

Der Roman spielt zum Ende einer Zeit deutsch-finnischer Waffenbrüderschaft in Lappland. Die Hebamme verliebt sich in den Untersturmführer Johannes Angelhurst, der zunächst in beinah zivilen Angelegenheiten unterwegs ist. Er begleitet die Truppe als Reporter. Er hat den Befehl, „die Bevölkerung kennenzulernen“. Er nimmt Drogen gegen die Angst. Katja Kettu findet erstaunliche Bilder für Wildauges Empfindungen. An Johannes sei „der Geruch eines zur Brunftzeit getöteten Rentierbullen hängen geblieben.“ Er riecht „qualvoll gut nach Gottes Hemd und schierem Schwanz.“ „Das Weibervolk weicht vor ihm zurück.“ Wildauge bereitet Johannes ein Bad, das einer Kur gleicht, in einem Lager, das die Sturmstaffel unterhält. Im Roman wird nicht zwischen SS-und Wehrmachtsrängen unterschieden, Wildauge liebt einen Leutnant. Der Leutnant ist kein Helmut Schmidt, sondern Untersturmführer. Wenn er eine Grube ausheben lässt, dann weiß er wofür. Er war an dem Massaker von Babyn Jar (Ukraine/1941) beteiligt. Seine Schuld folgt ihm in den Schlaf und macht ihm Albträume. Wildauge wird für ihn zur Täterin.

In der Buchhandlung, einem geräumigen Souterrain, erzählt die Autorin, dass sie den Roman auf der Basis großmütterlicher Aufzeichnungen verfasst hat. Die Ahne war dabei, als Finnland an der Seite Deutschlands gegen die Sowjetunion in den Krieg zog. 1944 einigte sich Finnland mit Stalin, der Separatfrieden war an die Bedingung geknüpft, die Wehrmacht aus dem hohen Norden zu kegeln. Aus Freunden wurden Feinde. Das schlug auf Wildauges Liebesleben durch.

„Erschreckend schön“ findet Moderatorin Petra Sauerzapf-Poser die Sprache der Finnin. Erfundene Wörter reichern Wildauge an. Drastisch beschreibt Katja Kettu eine Entbindung, das Kind sitzt fest in der Mutter. Es wird „gekalbt“. Nabelschnüre werden ausgespuckt. Ein Neugeborener „gehört in den Sumpf gesteckt“. Ein Säugling fällt Wildauge beim Waschen aus der Hand, „das macht nichts, Schäden werden erst Jahre später festgestellt.“ Verwegen formuliert die raue Hebamme ihren Naturbegriff von der Liebe und dem Leben in tierischen Vergleichen. Die Sinnlichkeit im Text geht trotzdem nicht auf wie Hefe, Wildauges sexueller Rigorismus kommt nie wie mit Pauken und Posaunen.



Jamal Tuschick - 5. September 2014
ID 8064
Katja Kettu | Wildauge
416 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag
Euro 19,99 (D) | sFr 28,– | Euro 20,60 (A)
Verlag Galiani Berlin
ISBN 978-3-86971-082-2


Weitere Infos siehe auch: http://www.galiani.de/buecher/katja-kettu-wildauge.html


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