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Ein Kind der Winsstraße

Knut Elstermann über seine Kindheit im Prenzlauer Berg


Der Autor im weihnachtlichen Glanz und der Fotograf vom Glühwein umnachtet - Foto (C) Jamal Tuschick



Hans Rosenthal war ein Kind der Winsstraße unter unseligen Umständen. Das Dritte Reich stempelte ihn ab, Hans überlebte zum Glück im Untergrund. Er tauchte wieder auf und erweiterte einen Kreis der Berliner Überlebenskünstler um Harald Juhnke, Horst Buchholz und Bubi Scholz. So hießen die Helden der Verlierer im Speckmantel des Wirtschaftswunders. Nun verläuft die Winsstraße im Prenzlauer Berg. Da vollzog sich noch einmal eine anders deutsche Geschichte. Knut Elstermann erzählt davon [Meine Winsstraße, Anm.d.Red.] in der Immanuelkirche an einem Montagabend im Dezember. Die Kirche ist das evangelische Zentralgestirn des Winsviertels, sie riecht nach einem Morgenland von Zimt und Nelken. Man trinkt Glühwein als Urgestein. Als jemand, der sich erinnern kann an die Bombenlücken, die Elstermann – als Kind der Winsstraße – im Gedächtnis behalten hat.

Der Journalist redet schnell, als sei mit Ungeduld zu rechnen. Er erwähnt die kurze Bauzeit der Kirche seines Auftritts im ausgehenden 19. Jahrhundert. So einfach bringt er sein Publikum zum Lachen. In Frankfurt muss man Offenbach sagen, um diesen Effekt zu erzielen. In Berlin kann man sich den Flughafen schenken, so tief sitzt der Stachel im bürgerlichen Fleisch.

Elstermann sagt die Länge der Winsstraße auf, sie überliefert sich ihm als „ein Bild von harmonischer Geschlossenheit“. Auf wuchs er nahe des Friedhofs, der als südliche Begrenzung der Straße einen Riegel vorschiebt. Elstermann attestiert seinem Gegenstand „eine unauffällige Existenz“. Kein Durchgangsverkehr, keine Denkmäler. Nichts Überragendes.

Der Autor neigt zu verträumten Formulierungen, wenn er von „Fahnen in den Farben wechselnder Systeme in den Fenstern der Winsstraße“ spricht. Er exponiert „das Ritterhaus“. Wie es da stand zu seinem kindlichen Gefallen. Es steht da noch, im Erdgeschoss breitet sich das „Tomsky“ aus. Die Bar entfaltet Signalwirkung auf meinen abendlichen Heimfahrten.

Ja, jetzt wohne ich in der Winsstraße, und Elstermann wohnt in Friedrichshain. Die Gegenwart mit ihren Zugezogenen kann Elstermanns Erinnerungen voller „Kneipenmief und gusseisernen Pumpen“ nicht das Wasser reichen.

„Die Wins prägte meine Vorstellungen von Haus, Wohnung, Bürgersteig.“

In der Ära dieser Prägung wollten andere nur noch raus aus ruinierten Häusern. Ihr Traum war die formschöne Wohnung in der Platte. Auch Elstermanns nahmen Abstand vom schwer zu heizenden Altbau und verzogen sich in eine sozialistische Errungenschaft mit integriertem Müllschlucker.

Knut Elstermanns Phantasie gelangte indes nicht unter die Räder eines schnöden Realismus. Der Autor halluziniert die historische Wahrheit. Sie ist verwinkelt und verwunschen und, wie gesagt, aus Gusseisen. In ihr geistern Scherenschleifer und Korbflechter. Halt, die Körbe werden im Jetzt der Straße geflochten. Im sagenhaften Damals fotografierte Helga Paris das Milieu vor Ort („lebenslange Momente der Alltäglichkeit“) – und so fotografierte sie auch Frau G., deren ausladendes Gesäß für den jungen Elstermann zum Sinnbild für Bückware wurde. Dabei bückte Frau G. sich für das Kind, es mit einem Magazin auszustatten. Das Magazin war eine „journalistische Kostbarkeit“.

Elstermann erzählt von Uschi im „La Bohème“ (Winsstraße 12) und von „den ersten Künstlern“ im Viertel. Denen ein Müllmann Bescheid sagen musste, wie man Bier in der Kneipe bestellt. Die Kneipen brummten, „es hatte immer einer Feierabend“ im Bekleidungskombinat an der Greifswalder Straße.

Es gab einen Hutmacher in der Winsstraße, eine Destillation, die Nordost Lichtspiele, die legendäre Journalistin Jutta Voigt – und es gab Monika Unferferth, „eine Visitenkarte des DDR-Fernsehen“ nach eigenen Begriffen.

Elstermann zeigt die Winsstraße auf antike Fotos, so sieht sie aus wie „Palermo im Nebel“. Hochzeitskutschen fuhren auf ihr zur Immanuelkirche. Manch ein Bräutigam warf auf dem Kirchhof mit Münzen um sich. Das Kind Knut hatte es nicht weit zur Kirche, „der Vater (ein hohes Tier) fühlte sich nicht wohl in der Familie“. Er führte ein Doppelleben von dem viele wussten. Nichts aber wusste Knut. Jetzt ist auch er im Bilde. Er weiß, „nur jeder achte Bewohner der Winsstraße von vor 1990“ hat da noch seine Anschrift. Gentrifizierung, ick hör dir trapsen. Ich sehe mich in der Kirche um, die Zugezogenen ziehen ihre Köpfe ein und verschwinden in der Unisex-Universalität von Jack Wolfskin. Auch ich ziehe am Reißverschluss und gucke betont gutmütig über den Brillenrand.
Jamal Tuschick - 17. Dezember 2013
ID 7473
Knut Elstermann | Meine Winsstraße
144 S. 10 Abb., Pb.
€ 9,95
be.bra Verlag, 2013
ISBN 978-3-89809-107-7

Weitere Infos siehe auch: http://www.bebraverlag.de/neuerscheinungen/titel/577--meine-winsstrasse.html


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