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Lesung

Übergriffiger Zitteraal und Mus musculus illuminiert

Marion Poschmann liest im Berliner Brechthaus aus ihrem neuen Roman – „Die Sonnenposition“ erzählt von Normalitätsverlierern in barocker Exklusion


Das ist Marion Poschmann (li.) bei einer Lesung im Berliner Brecht-Haus | Foto (C) Jamal Tuschick



„Die Ruhr zieht sich durch meine Erinnerungen“, sagt Marion Poschmann. Eine Elegie in einem Satz. Geboren in Essen, wuchs Poschmann in Fatzers Mülheim auf. So kam die Ruhr zu einem Andenken in der Gegenwart.

„Ich mag Orte, wo das Alte weg ist und das Neue noch nicht da“, führt die Autorin aus. Sie erkundet solchen Sozialbrachen und schreibt ihre Naturgedichte in Berlin. Zur Verherrlichung des Gegensatzes bietet sie die ewige Baustelle vor ihrem Haus auf. Die akustische Dimension wird angespielt: als Presslufthammerlärm.

„Ich habe immer in der Literatur gelebt.“

Die Sonnenposition erzählt von Normalitätsverlierern in barocker Exklusion. Ihre Absonderung erleben sie in einer psychiatrischen Herberge. Feudal und abgerissen ist die Architektur. Der Stuck gesellt sich abfällig zu den Mahlzeiten. Das „deutsche Anstaltsgeschirr“ riecht nach steriler Spülküche. Die nahrhaften Substanzen tauchen als Spurenelemente in Aspik auf, es findet „unverblümte Resteverwertung“ statt. Das „eingekapselte Gestern“ weicht zitternd „wie Götterspeise“ vor den Messern zurück. Die Apfelsinen zum Nachtisch erreichen die Tische „in abgeschabten Spülschüsseln“. Poschmann zerlegt das Wort Apfelsine zu seiner Bestimmung: Apel de Sina – Apfel aus China, die Patienten leben auf den Nachtisch hin.

Aus den Patienten werden Insassen im Gang der Handlung. Man könnte auch von Häftlingen sprechen, die Fischstäbchen im Anstaltsteich die Freiheit zurückgeben. Dem Psychiater Altfried Janich geben sie zu Resümees Gelegenheiten. Der Roman beginnt mit dem Tod seines Freundes Odilo, das Unglück verschiebt die Koordinaten eines korpulenten Rheinländers in brandenburgischer Diaspora.

Odilo war Spezialist für Bioluminiszenz. Er züchtete leuchtende Mäuse. Altfried und Odilo – Poschmann rollt in Rückblenden gemeinsame Fotosafaris auf automobile Erlkönige auf. Siehe unter de.wikipedia.org/wiki/Erlkönig_(Auto). Altfried, ein übergriffiger Zitteraal, ebenso narzisstisch wie emphatisch, stellt sich vor, Obst zu sein. Er hält sich für eine Pomeranze, „in ihrer Hülle und Fülle“. Gedanklich harkt er Panzerbeerenbeete. Das bringt ihn zu den Gurken. Auch Bananen sind Beeren, und für Altfried in seiner Anfälligkeit Alternativen zur Pomeranze. Vom toten Freund erbt er Schlaflosigkeit. Seine „Nächte unterscheiden sich (nun) durch ihre Träume, die Tage bleiben sich gleich“. Odilo hatte sich ferner mit dem Betonformsteinprogramm der DDR befasst, diese Kunst-am-Bau-Variante wird im Brechthaus an projizierten Beispielen anschaulich. Das Programm ging vom „ornamentlosen Ornament“ aus, von Zeichen „in zwölf Grundformen“, die nichts bedeuteten und so „ästhetische Autonomie“ behaupteten. Die meisten Betonformsteinwände wurden geschliffen, der Rest unter Denkmalschutz gestellt. Im Verständnis ihrer Urheber „bekleiden sie leeren Raum“. Poschmann spricht „von Stein gewordenem Faltenwurf“. Altfrieds Schwester ist „Modedesignerin“, Faltenwürfe kriegen in Poschmanns Roman „Koeffizienten“. Mila wohnt in einer Berliner Platte und hat in ihren vier Wänden das DDR-Verständnis von „Schöner wohnen“ mit Originalmöbeln wiederhergestellt. Mit leichtem Widerwillen fährt Altfried zu Mila, ihm ist der Gummizug seiner Schlafanzughose gerissen. Die Schwester soll es richten. Sie trägt die Kleider der Verwandtschaft auf, zu en vogue verfeinert „zwischen Kutte und Kittel“. „Halb Gräfin und halb Trümmerfrau“, schreibt Poschmann.
Jamal Tuschick - 20. November 2013
ID 7387
Marion Poschmann | Die Sonnenposition
Gebunden, 337 Seiten
D: 19,95 € | A: 20,60 € | CH: 28,50 sFr
Suhrkamp Verlag, 2013
ISBN: 978-3-518-42401-8


Weitere Infos siehe auch: http://www.suhrkamp.de/buecher/die_sonnenposition-marion_poschmann_42401.html


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