Keine Experimente – ein Schlagwort der Adenauer-CDU als Romantitel
Ansichten der Macht und ihrer Nebenwirkungen von Markus Feldenkirchen
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Jede Großstadt hat ihre Georg Büchner-Buchhandlung, in Berlin findet man sie auf dem Sattel des Prenzlauer Bergs. Die Gegend garantiert das Geschäft. Hier lebt der Leser im Plural sämtlicher Provinzen Europas. Seine Konzentration ist kein Zufall, Gentrifizierung kein Würfelspiel.
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Heute Abend liest Spiegel-Journalist Markus Feldenkirchen in der Georg Büchner-Buchhandlung, bald wird es zu der Stunde solcher Termine dunkel sein. Feldenkirchen war Redakteur beim Tagesspiegel, der Schauplatz verspricht ihm ein Heimspiel.
„Es ist wie es ist“ heißt Feldenkirchens Film über Wolfgang Schäuble, im Titel spricht sich ein Fatalismus der Macht aus. Als der Ideale Gegner mischt dieser Fatalismus Feldenkirchens neuen Roman auf. Ein Schlagwort der Adenauer-CDU, Keine Experimente, überschreibt die Geschichte des Frederik Kallenberg. Im Sauerland seiner Herkunft lacht man ab und an „aus dem Hohlkreuz“. Kallenbergs Vater ist unter Schützen König – Lernen Sie schießen und treffen Sie Freunde. Sein Leben gehört dem Bier mit ausführlichen Widmungen. Im Kreis der Brüder sagt man „wie gesagt“ bevor überhaupt etwas gesagt wurde, so wenig kommt es darauf an. Beim Schützenfest spielt die Kapelle „Gruppenbild mit Dame“ in ihrem Namen auf Böll an. Ein Einfall wie von Heinz Strunk.
An sich ist in diesem Sauerland immer Schützenfest und das Leben ein Bierzelt, in dem Kallenbergs Mutter sich von ihrem Gatten ab- und einer erotischen Gelegenheit zuwendet. Der Sohn tritt im Konfirmandenalter in die Konservative Partei ein. Das versteht man richtig als Protest gegen verwilderte Eltern. Kallenberg steigt dann auf zum Abgeordneten. Im Bundestag fordert er Ehrlichkeit & Treue von allen Parteien.
Feldenkirchen trägt die Geschichte schneidig vor, das Publikum quetscht sich vor lauter Anlass zur Menge. Andrang unterbricht den Vortrag, gelassen fragt der Autor: „Wollen Sie sich neu sortieren?“
Doch bietet sich kein Raum mehr für Rotationen.
Kallenberg erkennt sich selbst als Beispiel für „eine Biografie der Beständigkeit“. Die im Sauerland stationierte Ehefrau arbeitet der Kinder wegen nicht, im Einklang mit Erkenntnissen der Bindungsforschung. Die Bindungsforschung liefert einer konservativen Lebensplanung Gründe. Der Feminismus hat die Menschheit unglücklich gemacht, glaubt Kallenberg. Er hält sich „wetterfest gegen Zumutungen einer liberalen Gesellschaft“. Trotzdem, naseweis möchte man sagen, deshalb passiert ihm „eine Affäre (mit der sprichwörtlichen Feministin) in Kreuzberg“. Den Zuhörer amüsiert Kallenbergs Programm der Ernüchterung: von A wie (aufgegebener) Anstand und ausgebliebener Aufstand über Ü wie Überraschung bis Z wie Zynismus. Wer nicht hören will, muss fühlen.
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Jamal Tuschick - 14. August 2013 ID 7057
Markus Feldenkirchen, Keine Experimente
400 S.
11,6 x 18,5 cm
22.90 €, 29.90 CHF
Kein & Aber 2013
ISBN: 978-3-0369-5671-8
Weitere Infos siehe auch: http://www.keinundaber.ch/buecher_und_records/buecher/feldenkirchen_keine_experimente/index.html
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