Lesung | lit.COLOGNE 2015
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Umgängliche Literatur
Martin Suter las im Kölner Theater am Tanzbrunnen
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Das ist Martin Suter - Foto (C) Alberto Venzago/Diogenes Verlag
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Martin Suter hat dieses Gespür für Themen, die bei Latte Macchiato mit Zimtschaum und einem gepflegten Tramezzini ihre allergrößte Wirkung entfalten. Liest man seine Romane, beschleicht einen das Gefühl, Teil einer Welt zu sein, die man irgendwie gar nicht so schlecht findet. Was daran beglückt, ist die lausige Tatsache, dass man sich ganz freimütig dazu bekennen kann. Bisweilen zwar konstruiert und leicht überkandidelt, was man da zu lesen bekommt; insgesamt aber erinnert es immer an feines Auskommen und manierliche Konversation. Suter, der einstige Werbetexter, hat diesen intrikaten Sinn fürs Populäre, dem man seine Popularität nicht so richtig ansieht. Das ist ein feiner Trick, der sich in manchen Lebenslagen als gewinnbringend erweist. Das gilt also nicht nur für die ihrem Wesen nach recht korrupte Literatur.
Sagen wir so: Die "Rezeptur" von Suters Romanen sollte einem keine Kopfschmerzen bereiten. Das ist alles recht überschaubar. Man kann diese Bescheidenheit fest ins Herz schließen. Auch dafür stehen wohl die annähernd tausend Besucher der Lesung seines neuen Romans Montecristo an diesem Mittwochabend im Kölner Theater am Tanzbrunnen. Wenn gute Bücher dazu veranlassen, mit Vergnügen immer weiter und bis zum Ende zu lesen, dann würde man Suter durchaus attestieren können, gute Bücher zu schreiben. Schließlich gewinnt der Schweizer im feinen Zwirn, der sein Äußeres an diesem Abend selbst als das eines "Bankers" umschreibt, nicht nur einen Preis nach dem anderen. In Windeseile erobert er die "Charts" der internationalen Literaturlisten. Den mächtigen Diogenes Verlag, der durch den isolierten Franken im Eurogebiet ins Trudel geraten ist, mag es freuen: Man liest Suters Bücher nicht zu Ende - man trinkt sie einfach leer.
An diesem Abend ist Suter recht aufgeräumt. Ein wenig bieder. Jedenfalls alte Schule. Bescheidenheit ist sein Image. Als literarischer Handwerker, der er ist, erdreistet er sich kaum Kapriolen. Aussagen über die Finanzkrise oder gar Kritik am Bankensystem sind seine Sache nicht. Im Gegenteil, er versichert, keine Lösungen oder Antworten zu bieten, sondern lediglich Fragen zu stellen. Etwa die: Gibt es Situationen, in denen es gerechtfertigt ist, zu unmoralischen Mitteln zu greifen? Suter selbst vermutet, dass es wohl kein System gebe, das nicht Menschenleben gekostet habe. Der Autor, der bisweilen ein wenig schläfrig, fast langweilig wirkt, nähert sich dem internationalen Finanzsystem wie das Wiesel dem Fuchs.
In seinem neuen Roman, Montecristo, geht es also ums Geld. Ein Finanzkrimi. Der erfolglose Journalist Jonas Brand ermittelt: Ein Toter in einem Tunnel, und bald sind Blüten im Spiel. Zwei Scheine mit derselben Nummer. Etwas, das eigentlich nicht passieren kann. Brand ermittelt trotzig und unprofessionell und legt sich mit der großen Finanzwelt an. Wie das endet, soll nicht verraten werden. Zugebeben, es gibt einige Volten, die interessant sind. Man sollte übrigens erwähnen, dass Suters Stärke der Plot ist - auch diesmal ist das so. Und erwartungsgemäß geht es nicht nur um Geldwirtschaft, sondern ebenso um die großen Themen, also Liebe, Kunst, Wahrheit usw. Nun ja. Es ermüdet dann doch bisweilen. Am Ende löst sich alles, sagen wir, in einem behaglichen Wohlgefallen auf, und der Leser muss zu seiner unerheblichen Überraschung erkennen, dass auf der ganzen Welt eine Hand die andere wäscht.
Suter wirkt an diesem Abend schwerfällig. Vorsichtig äußert er sich. Er will keinem auf die Füße treten. Er bleibt konziliant und verständnisvoll, nein, die Schweizer Bankenwelt will dieser anständige Herr mit seinem Roman sicher nicht attackieren. Das ist seine Sache nicht, auch wenn es naheliegen würde. Gut, man kann dieser Haltung durchaus auch Respekt entgegen bringen. Weshalb sollte sich einer, der "nur" eine Geschichte erzählt, anmaßen, komplexe wirtschaftspolitische Zusammenhänge zu durchschauen? Vielleicht ist das naiv. Vielleicht ist es aber auch nur professionell. Zweifellos aber passt diese Einstellung perfekt zu Suters Romanen, die wohl auch deshalb so reißenden Absatz finden, weil sie ihre Leser nie vor den Kopf stoßen.
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Jo Balle - 19. März 2015 ID 8514
Weitere Infos siehe auch: http://www.lit-cologne.de
Post an Dr. Johannes Balle
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