Martin Walser über „GV mit Steckdosen“
in seinem neuen Roman „Die Inszenierung“
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Martin Walser (li.) lässt sich von Wolfgang Herles im BE befragen - Foto (C) Jamal Tuschick
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Das Alter lässt ihn präsidial erscheinen. Martin Walser erinnert an de Gaulle. Man erwartet von diesem aufrechten Greis mit den aufbrausenden Brauen Ansprachen zum Zustand des Jahrhunderts. Doch ist Walser nicht Grass. Er geht lieber als Goethe des Genitalen in die Geschichte ein, vielleicht auch als ein Wiedergänger Goethes, der am Ende gaga war. Walser bleibt beim Ehelichen als Seitensprung-Anlage. Er bekennt stellvertretend. Er bricht das Schweigen der Schlafzimmer dieser Republik.
„Ist nicht jede Berufstätigkeit ein öffentliches Selbstgespräch?“ fragt Walser auf der Probebühne des Berliner Ensembles. Die Frage kleidet eine Feststellung. Der 86-jährige Schriftsteller hat sich zuletzt einen „mit Prominenz gepanzerten“ Regisseur als jüngeres Alter ego zugelegt: Augustus Baums Inszenierungen sind „öffentliche Selbstgespräche“. Gefällt von einem Schlaganfall, findet sich Baum in der erotischen Obhut einer Nachtschwester namens Wiese wieder. Ute Wiese (29). Baum sorgt sich ferner um den Fortgang der Proben von Tschechows Möwe. „Keiner konnte das Leiden so vertrauensvoll ausdrücken wie Tschechow“, erklärt Walser.
Mit seinem durchgängigen Dialog gleiche der Roman [Die Inszenierung, Anm.d.Red.] einem Theaterstück, findet Wolfgang Herles im Gespräch auf dem blauen Sofa. Walser antwortet mit Platon: „Der hat als erster Schluss gemacht mit dem Darüberschreiben. Direkte Rede! Rede und Widerrede! Spruch und Widerspruch! Anstatt die Tonart des jeden Widerspruch erstickenden, monologisch-monomanen Behauptens fortzusetzen!“
Herles erinnert an Walsers Erfolge als Dramatiker. Das war vor langer Zeit in einem anderen Land. Das Land hieß BRD und Walser wollte die BRD nach den Vorstellungen der DKP verbessern. Das spielt keine Rolle mehr, wichtig ist, dass die Wiese den Baum wieder aufrichtet: „Du hast mich in der ersten Nacht kassiert.“ Unter Utes Händen spürt Augustus, „dass ich noch leben will“. Das weibliche Publikum kräuselt die Lippen.
Walser liest am Stehpult, sein Panama liegt großartig auf der Ablage. Der Schriftsteller hat bedeutende Zeitgenossen, bundesweite Zerwürfnisse und gesellschaftliche Kollisionen überlebt. Da steht ein Denkmal im hellen Anzug.
Walsers Baum erzählt Gattin Gerda vom „GV“ mit der Nachtschwester in Erwartung der Absolution. Sie soll zumindest verstehen.
„Affäre! Klar! Immunschwäche der Seele! Die Leidenden sind die wahre Internationale. Und wenn die Ehefrauen dazugehören, dann doch mit dem Unterschied: Sie werden gehegt und verpflegt von der Moral-Industrie. Sie haben das gute Gewissen. Sie sind die besseren Menschen. Sie sind die Opfer. Sagt dir dein Mann. Der Täter. Der mit den Affären. Der es dir übelnähme, wenn er deinetwegen lügen müsste. Empfindungslos. Wenn ich dem Unglück begegne, das ich anrichte. Ich bitte um Empfindungslosigkeit. Verloren.“
Die Ärztin und Psychoanalytikerin Gerda ist für seine Tage zuständig, das macht sie zu Baums „Tagschwester“. Gerdas Einlassungen sind vehemente Einwände gegen das späte Verlangen: Ute sei wie Baums Frauen im Allgemeinen, nichts besonderes. Sie gehöre zu den „Steckdosen: du hast den Strom, den sie dir lieferten, nie bezahlt“.
Baum widerspricht: „Liebe gibt es in Tonarten, die miteinander nicht verwandt sind.“
Er lobt den genitalen Egoismus als Garanten der Lust des Anderen. Die Abkopplung der Lust vom Reproduktionsmodus zählt Baum zu den Kulturleistungen. Individuell sei sowieso nichts beim „GV“. Man könne im Bett gar nicht persönlich werden.
Ich fasse zusammen: Eine junge „Steckdose“ namens Wiese besteht auf Leidenschaft beim „GV“ mit einem alten Baum. Sie ist die Nachtschwester, mit der sich die promovierte Ehefrau am besten geschwisterlich abtakeln soll „als Tagschwester“. Diese Konstellation suggeriert den Versuch, eine Fahne, für die es keinen Grund gibt auf der Erde, in den Himmel zu nageln.
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Jamal Tuschick - 11. September 2013 ID 00000007138
Martin Walser: Die Inszenierung
174 Seiten
EUR 18,95 (D)
Rowohlt, 2013
ISBN 978-3-498-07384-8
Weitere Infos siehe auch: http://www.rowohlt.de/buch/Martin_Walser_Die_Inszenierung.3065221.html
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