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Lesung

Lieder retten Leben

Nilz Bokelberg im vereisten Prenzlauer Berg



Wenn das Herz groß genug ist, macht man seine Musik selbst. Die Herzchen hören zu und schreiben die Fußnoten. Ihre Zuständigkeit garantiert das jugendliche Gefühl, nur Zaungast zu sein. Das Leben der anderen illuminiert dieses Gefühl als eine von weniger Zurückweisungen und mehr Aktion bestimmten Angelegenheit. Das Gefühl beschreibt sich als Irritation. Die Irritation nimmt da ab, wo man musikalisch Klarheit gewinnt. Lieder retten Leben. Man muss sie nur gut finden. So wie Nilz Bokelberg bestimmte Balladen „von jenseits der Alpen“ gut findet. In der Backfabrik, einem Schweizer Taschenmesser der Kultur im Prenzlauer Berg, beschwört der Autor von Endlich gute Musik „ein reizvolles Popaufkommen in Italien – dem Land der musikalischen Extragenüsse“. Vielleicht rächt sich Bokelberg mit seinem Einstieg am Eisberg des Geschehens. Nur die Mutigsten sind gekommen, der Rest fürchtet sich daheim vor Hals- und Beinbruch. In Rimini entdeckte Bokelberg „die große weite Welt“. Da war er als Abhängiger seiner Eltern im Urlaub. Er erinnert das Auditorium an „Vamos A La Playa“. Das Lied wurde von Italienern (Righeira) auf Spanisch gesungen und war beliebt in allen Bahnhofsvierteln. Kann sein, dass man ein paar Jahre lang auf weltweit jeder Vergnügungsmeile nichts grundsätzlich anderes zu hören bekam. – Und dann vergisst man das einfach wieder. „Vamos A La Playa“, na klar. Gut, das Bokelberg „Vamos A La Playa“ wieder dem kollektiven Gedächtnis zuführt. Während seine Eltern in allen Flecken ihres Aufenthalts die Altstadt suchten, fand der Radar des heranwachsenden Bokelberg zielsicher die Tonträgerabteilungen im Einzelhandel. Mit fünfzehn gelangte er nach Frascati und weiter nach Rom. In der „Hauptstadt des Chaos“ erweiterte er sein musikalisches Wissen um White Noise. Der Autor vertieft die Sonderstellung Roms in seiner Biografie mit noch mehr Arabesken. „Das alte Zentrum der alten Welt“ wurde zum Schauplatz einer Erweckung durch „Io Vagabondo“. Das sei damals „der heißeste Scheiß aus Italien“ gewesen. „Das Pathos des Pizzabäckers“ spräche sich in dem Scheiß aus.

Bokelberg wechselt das Thema, er zählt die zehn besten „Ärzte“-Lieder auf. Sie liefern einem Lebensgefühl vergangener Tage die Tapete unter dem Motto: „Will ich auf meinem Skateboard sterben?“ Natürlich wollte Bokelberg das im Zustand jugendlichen Leichtsinns. Doch nicht in der Gewissheit einer weitreichenden Übereinstimmung mit vielen: „Nichts killt mehr als Konsens.“

Bokelberg zitiert elitär: „Weißt du eigentlich, wie dankbar Hühneraugen gucken können?“ Richtig „verstanden“, fühlte er sich schließlich von „Nirvana“. Als Kurt Cobain sich umbrachte, geriet Bokelberg in Wut. Sein „Nirvana“-T-Hemd trug er dann unterbrochen drei Wochen.
Jamal Tuschick - 21. Januar 2014
ID 7535
Nilz Bokelberg | Endlich gute Musik
208 Seiten, Taschenbuch
H19,0 x B12,5 cm
EUR 9,99 [D] / 14,90 sFr.
Dumont Buchverlag
ISBN 978-3-8321-6244-3


Weitere Infos siehe auch: http://www.dumont-buchverlag.de/buch/Nilz_Bokelberg_Endlich_gute_Musik/12829


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