Hanns-Joseph Ortheil las aus Was ich liebe - und was nicht
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(C) Luchterhand Literaturverlag
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Das Publikum des beinahe voll besetzten Theaters am Domhof in Osnabrück schaut auf den roten Vorhang. Dieser teilt sich und hervor tritt Hanns-Joseph Ortheil, im Gepäck sein gerade erschienenes Werk Was ich liebe - und was nicht.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Literaturspot“, die gemeinsam von den Osnabrücker Bühnen und der Dombuchhandlung gestaltet wird, berichtet Ortheil von seiner Kindheit und seinem persönlichen Werdegang, der ihn der Literatur sowohl als Schriftsteller als auch als Lehrender in diesem facettenreichen Fachgebiet nähergebracht hat. Zudem gibt er einige Passagen des sehr persönlichen Buchs zum Besten und kommentiert sie anhand der Hintergründe, die zu deren Entstehung geführt haben.
Die Zuhörer hat er alsbald für sich gewonnen, denn er wirkt selbst sehr berührt, wenn er seine Anekdoten erzählt, und würzt diese mit einer ordentliche Prise Humor. Eine gelassen anheimelnde Atmosphäre stellt sich bereits nach den ersten Minuten ein und begleitet die gesamte Lesung. Authentischer kann ein Schriftsteller kaum sein, als es Ortheil an diesem Abend ist. Auch der leicht zitterige Zustand seiner Hände weicht einer inneren Ruhe, die er auszustrahlen vermag. Die warme, tiefe Stimme entführt das Publikum auf eine tiefsinnige und philosophische Reise anhand typischer Alltagsbegebenheiten.
Seine ganz eigene Geschichte beginnt mit der Stummheit seiner Mutter als Folge des Verlusts der ersten vier Söhne im Zuge von Krieg und Nachkriegszeit. Kaum sprach er die ersten Worte, verstummte auch er als kleines Kind und konnte sich dieser Lethargie erst durch den exzessiven Kontakt zur Musik entziehen. Als pianistisches Wunderkind hegte er den Wunsch, eine musikalische Karriere einzuschlagen, welche ihm schließlich aus gesundheitlichen Gründen verwehrt blieb. Seinen künstlerischen Ambitionen blieb er jedoch treu, und er beschäftigte sich mit Kunst und Literatur, welche ihn derart gefangennahm, dass seine Faszination für das geschriebene Wort letztendlich seinen beruflichen Werdegang bestimmte.
In Was ich liebe - und was nicht berichtet er von scheinbar Alltäglichem wie die Wahrnehmung seiner Umwelt und den hier eingebetteten Gesprächsfetzen während der Begegnung mit einem Nachbarn. Aber auch seine ganz eigenen skurrilen Ideen bezüglich der Lektüre von Werken seiner Kollegen oder seine eingespielten Verhaltensabläufe im ICE während der erwartungsgemäßen Problematik in Hinblick auf Pünktlichkeit sorgen für den ein oder anderen humoristischen Gedankenblitz. Auch von typischen Situationen in Restaurants wird berichtet. Scheinbare Banalitäten mutieren zum reinsten Lehrstück für Lebenskunst, führen sie doch ganz im Sinne der Introspektion nach Montaigne und Barthes die wesentlichen Details vor Augen, die uns als Menschen ausmachen.
Ortheil ermöglicht entlang seiner Erzählungen und seines Texts tiefe und sehr persönliche Einblicke und trifft pointiert genau das, was unsere Gedanken immer wieder aufs Neue umtreibt. So entwirft er ein literarisches Gerüst, in dem sich jeder Mensch, der sein Inneres ab und an der Selbstbefragung unterzieht, wiederfinden mag. Ortheil lässt die Zuhörer im Theater an einem großartigen Stück Selbsterkenntnis teilhaben, das geradezu bereichernd wirkt.
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Sina-Christin Wilk - 30. November 2016 ID 9714
Infos zum Buch: https://www.randomhouse.de/Buch/Was-ich-liebe-und-was-nicht/Hanns-Josef-Ortheil/Luchterhand-Literaturverlag/e437139.rhd
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