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Lesung

Robert Schindel erzählt von einem Mann, der aus der Kälte kam..

...und Georg Stefan Troller hört dem Gemurmel seines grauenhaften Jahrhunderts zu


Robert Schindel im Georg-Büchner-Buchladen Berlin | Foto (C) Jamal Tuschick



Wiener in Berlin

Da sitzen zwei Wiener in der Berliner Georg Büchner-Buchhandlung. Überlebende des deutschen Faschismus in jedem Fall. Georg Stefan Troller, Jahrgang 1921, floh vor den Nazis nach Amerika, Robert Schindel, Jahrgang 1944, entging als Säugling knapp der Deportation auf dem Gnadenweg barmherziger Schwestern. Troller kehrte mit der US-Army nach Europa zurück, er lebte dann in Paris als ZDF-Korrespondent. Seine Interview-Stil ist unerreicht. Seine Stimme prägte meine Jugend. Seine Aussprache besteht auf jede Silbe und wird so zu Dichtung.

Das Gerücht weiß etwas von einem Umzug Trollers nach Berlin. Die Gespenster der Vergangenheit tanzen im Berghain, MÄRZ-Legende Jörg Schröder, gebürtig aus Niederschönhausen, würde sagen: 'Der neue Faschismus beginnt (im Prenzlauer Berg) im Kinderkampfwagen.' Ich lese gerade Schröders neues Buch, es heißt Kriemhilds Lache; das nur nebenbei.

Wolfgang Engler, Chef der Ernst Busch-Schule und Seismograph des deutschen Empfindens, ist der Sachse im Wiener Bund dieses Abends. Er rückt die narrative Weitläufigkeit im Werk von Robert Schindel in einen überschaubaren Rahmen. Man verstünde „den Kalten“ leicht, wenn man das Burgtheater als Zentralfriedhof der Ereignisse nähme. Die Waldheim-Affäre grundiert den Roman und gibt das Datum seiner Handlungsgegenwart an. Der Kalte spielt in „der Welthauptstadt des Vergessens“ zu Zeiten von Claus Peymann, Kurt Waldheim, Thomas Bernhard und Alfred Hrdlicka. Die Herrschaften stehen auf Schindels Liste mit eigenen Namen.



Troller erklärt Wolfgang Engler die Welt | Foto (C) Jamal Tuschick



„Insgeheim“ sei er „trotzdem sehr gern in Wien“, verrät Schindel. Er verdanke der Stadt sein „belletristisches Dasein“. Ansonsten ist der Autor mehr Lyriker und weit davon entfernt, sich und sein Werk selbst zu deuten. Er zitiert Goethe: „Die Form, ein Geheimnis den meisten“.

Schindel sieht aus wie ein mit Geistern vertrauter Indianer, ganz Seelenführer ins Reservat. Die Kriegshäuptlinge sind schon lange tot und der Stamm besteht nur noch aus Greisen und Waisen.

Der Kalte ist Edmund Fraul, ein Überlebender der spanischen Internationale und der Internationalität von Auschwitz. Man versteht ihn auf Anhieb, er weiß, „das Schlechte ist gleich gut verteilt“ (Botho Strauß). Die Guten sind bloß anders übel als die anderen oder nicht rechtzeitig zum Zug gekommen. Das Leben ist zum Speien für Fraul, den in aller Gemütlichkeit und mit viel List und Lust an der Heimtücke die Honoratioren wie hinkende Hyänen beschleichen.

„Es braucht dreißig Jahre, bis sich die Geschichte gesetzt hat – und man sie erzählen kann“, erklärt Schindel. „Schon wegen der erzählerischen Gerechtigkeit“. Gleichwohl sei es nicht möglich gewesen, dem Bildhauer im Roman eine liebenswürdige Art zu geben. Die hätte sich der Hrdlicka sowieso verbeten. Frauls Sohn spielt Paraderollen am Burgtheater, zum Geburtstag des Vaters gibt es Tafelspitz. Ein SS-Mann a.D. sucht das Verständnis seines Opfers auf Spaziergängen mit viel Wetter. Der Bürgermeister streitet betrunken mit dem Bildhauer um den besten Platz für ein Antifaschismusdenkmal. „Tun wir es halt hinter die Secession in den Garten, da sieht es wenigstens keiner.“

Gerührt von der Gewöhnlichkeit ihrer Großköpfe schaut die Beisel-Boheme beiseite. Sie weiß, mit vollen Hosen ist leicht stinken.



Troller engagiert. "Wer sich nicht engagiert, wird engagiert." (Heiner Müller) | Foto (C) Jamal Tuschick


Jamal Tuschick - 13. September 2013
ID 7142
Robert Schindel, Der Kalte
662 S., gebunden
EUR 24,95 (D)
Suhrkamp Verlag, 2013
ISBN 978-3-518-42355-4


Weitere Infos siehe auch: http://www.suhrkamp.de/buecher/der_kalte-robert_schindel_42355.html


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