all das bekannte fleisch
Simone Kornappel bespricht das Tempelhofer Feld und erschafft ein Kunstwerk im Augenblick
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Kookbooks-Verlegerin Daniela Seel - Foto (C) Jamal Tuschick
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In den Auen des Tempelhofer Felds spielen sich Szenen wie von Sergej Eisenstein ab. Groß aufgezogen wird die Heuernte. An ihren Rändern treibt Tüchtigkeit einen Volkssturm auf Rädern über Rollbahnen. Das Feld dient Neukölln ferner als Vorgarten. Man sieht vieler Art Fleisch: abgehangen und diplomatisch im Liegestuhl, mariniert und mondän auf dem Grill. Über all dem macht sich ein Himmel breit, den Eisenstein bei Albrecht Altdorfer in Auftrag gegeben haben könnte. Gesichter, wie man sie in Deutschland seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr gesehen hat, brechen in die Gegenwart aus.
Dies ist die Stunde einer „Kookbooks“-Walking-Einstellung in der Regie von „Kookbooks“-Verlegerin Daniela Seel. Simone Kornappel spricht die Hauptrolle auf einer Wiese. Verfolgt von Regenschirmen und Kinderwagen gibt sie ihren Gedichten Raum. Der Raum wirkt auf den Vortrag, das ist die Idee der „Kookwalks“.
Sagen wir Konzeptkunst dazu, das Konzept mäandert in der Wahrnehmung. Es weitet die Begriffe der Poesie, heißt es dem Verlangen nach. Vielleicht weitet es die Begriffe, sagt die Skepsis.
Simone Kornappel sagt ypsilon auf: „all das bekannte fleisch/besucher wie air quotes neben nahtlosen collagen“.
Schon verschiebt sich ein Kinderwagen aus der Inszenierung. Leute hängen an ihm, sie werden von weitem winken. „Manchmal finden Dinge zusammen, auch wenn sie gar nicht zusammen gehören“, zitiert die Dichterin Dietmar Dath ins Blaue. Doch passt der Satz ins Bild.
ypsilon reagiert auf den Körperwelten-Zirkus des Gunther van Hagens ... „gegen ende vielleicht die kopulation liegengebliebener teile“. Hagens Exponate seien collagiert, erklärt Simone Kornappel. Sie ergäben sich aus Bestellungen, etwa eines Kontingents Arme: aus aller Herren Länder abgetretener Leiber für die Lieferung zusammengeschustert. Hagens habe die ästhetische Anatomie nicht erfunden.
ypsilon ist vor allem schön, jede Silbe passiert ohne Einwand „ein(en) carpacciofilter“. Simone Kornappel liefert Referenzen per Quick Response-Code. Die Erkennung wurde für Toyota-Bausätze entwickelt. Jetzt bietet sie Smart Phonern auf dem Tempelhofer Feld illustrierende Einspielungen - van Hagens versus da Vinci. Simone Kornappel ergänzt die Ergänzungen mit Verweisen auf inspirierende Autoren und Situationen.
Im Delta der Subtexte bleiben die Gedichte nicht auf der Strecke. pentimenti faq zielt in meinen Ohren auf das Archiv, das die Natur in ihren Gattungen anlegt. Übermalt mit Lippenstiften, „en gros“ verteilt: „soviel zur sinnlichkeit“.
die mädchen zieht es aus dem futteral. „Brav“ produzieren sie „nutzschall:“ in Opposition zum Schmutzschall frequently asked questions. Übersetzt man pentimenti faq in Prosa, dann erzählt das Gedicht eine Co-Geschichte zu Strange Circus. Simone Kornappel setzt den Film in ein Verhältnis zu American Beauty. Der QR-Tourist staunt über den gerade aufgemachten Horizont. Ein Fachmann für Art House Horror kommt ins Spiel, er enttarnt sich als Mitwisser. Strange Circus stünde in der Generation des ero-guro nansensu, einer Verbindung erotischer und gespenstischer Elemente im japanischen Kino. Der Film ließe Schuldirektor Ozawa Gozo sich vergehen an seiner Tochter Mitsuko. Das Kind reagiert wie die Geiseln in Stockholm reagierten, wenn auch nur im Manuskript einer Schriftstellerin. Kein Wort in pentimenti faq legt mir diese Deutung nah. Trotzdem verstehe ich auf Anhieb die Richtigkeit der Erklärungen. Eine polymorphe Skulptur entsteht im Zusammenschluss von digitalen Quellen, dem Gedicht im Vortrag, dem Feld als weites und meinetwegen auch dem, was der Zufall will und der gute Wille möchte – als Kunstwerk im Augenblick.
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Jamal Tuschick - 18. Augusat 2013 ID 7063
Weitere Infos siehe auch: http://www.kookbooks.de
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