Waterworld der Worte
Uljana Wolfs "meine schönste lengevitch" im Berliner Pink Melon Joy
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Uljana Wolf bei einer Lesung im Berliner Pink Melon Joy - Foto (C) Jamal Tuschick
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Gibt multilinguale Vieldeutigkeit den Ton und das Ziel an, ist Finnigans Wake das Buch der Bücher. Sein phonetischer Furor erzeugt eine Waterworld aus Worten. Der transkontinentale Gesang der Wale könnte Joyce inspiriert haben: „Whaling away the whole of the while (hypnos chilia eonion!) lethelulled between explosion and reexplosion (Donnaurwatteur! Hunderthunder!) from grosskopp to megapod, embalmed, of grand age, rich in death anticipated.“
Auch Beckett liefert in Dreams of Fair to Middling Women ein Spiel mit Sprachen ab. „Don’t bother me with such Quatsch“, heißt es in einem Beispiel für Becketts Freude an der Seltsamkeit des Deutschen in seinen Ohren. Nicht weniger verspielt sich ein Gedicht auf, das Uljana Wolf im Berliner Pink Melon Joy der ersten Lesung aus ihrem neuen Band meine schönste lengevitch voran schickt. Darin geht das Deutsche verloren in der Auswanderung nach Amerika. Dem lyrischen Ich gibt eine Erschütterung, die sich wiederholt, „jedes Mal a pain“. Am Horizont von Kurt Steins Gedicht bleiben von der Herkunftssprache nur Ballhörner übrig – Verlust und Erinnerung. Vor diesen depressiven Prospekt spannen im Pink Melon Joy (von Uljana Wolf) in die Bütt gebetene Autoren eine polyglotte Girlande der Heiterkeit. „Looking für eine Lengevitch“ sind Cia Rinne, Eugene Ostashevsky, Shane Anderson, Isabel Cole und Sharmila Cohen. Ihre poetischen Recherchen reichen vom „Zahnarzt- und Google-Deutsch“ bis zur Miss in Missverständnis. In einer von Kenntnissen unbelasteten Übersetzung aus dem Niederländischen ergibt sich lautmalerisch-absurd: „Soll ich in die Wanne ejakulieren? Lass lieber meinen Frachter passieren.“
Isabel Cole erzählt die schönste Geschichte des Abends. Ihr sei erst auf Deutsch klargeworden, wieso ihrem „Gehirn das Auge durchging“. Der narrative Einfall spielt mit der Nähe von Blinzeln und Schielen in einem englischen Wort: to squint. Den „Entschluss, richtig zu sehen“, habe sie in der Fremdsprache gefasst – ein Resultat der Differenz.
Von der Zweifelhaftigkeit der Zweisprachigkeit zu Zeiten Friedrich Schleiermachers (1768 – 1834) berichtet Uljana Wolf. Der Theologie verglich Zweisprachigkeit mit „einem künstlichen Mann, der auf einem weißen Blatt Papier Kresse wachsen lässt.“
Uljana Wolf hält „dem dunkeldeutschen Denken der Einsprachigkeit“ ihre „Doppelgeherrede" entgegen: „ich ging ins tingeltangel, lengevitch angeln. an der garderobe bekam jede eine zweitsprache mit identischen klamotten, leicht gemoppeltes doppel. die spiegel aber zeigten nur eine von uns, ich schluckte: kalte spucke, spuk. hinten hoppelten wortkaninchen aus ashberys hut. zum ballsaal dann, mit meinem zwilling zirkumstanzen, am tresen ein köpfchen kaffee mit mrs. stein. dass ich gespenster seh!, rief plötzlich aus der nische, wo das denken dunkeldeutsch blieb, mr. veilmaker im schlafanzug der philosophen. ein kressekästchen vor der brust, verblüfft: wächst auf einem weißen blatte! ohne alle erde! wurzellos! ich wollte nach paar samen fragen, doch mein zwilling sprang, ging schwofen mit dem mann. wer schatten hat, muss für die spots nicht sorgen, sagte mrs. stein, packte ihre knöpfe ein.“
Aufmarschieren lässt die Dichterin Jean Paul, Jacob und Wilhelm Grimm, Bertha Pappenheim in einer Geschichte der (Anna) O und der Aphasien - und Erika Steinbach, die ihre Muttersprache in einem Verein schützt.
Identität – Sprache – Nation.
Uljana Wolf zieht aus dem von ihr auf links gedrehten Eingemachten der Nation selbst eine Prise Identität: „Wir waren mehr Rädchen als Mädchen“ erinnert sie sich an junge Pioniere ihrer Ostberliner Kindheit. „Aus dieser Zeit stammt mein inneres Echo / ... / Selbst der Wind drängte auf Richtung“.
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Jamal Tuschick - 23. August 2013 ID 7081
Uljana Wolf - meine schönste lengevitch
Gedichte
Kookbooks
88 Seiten
€ 19,90
ISBN 978-3937445571
Weitere Infos siehe auch: http://www.kookbooks.de
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