Unheimliches Heimspiel
Falkner, Anderson, Papenfuß im französischen Viertel des Prenzlauer Bergs
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Sascha Anderson in einem Bildausschnitt - Gesamtansicht des Bildes s.u. - Foto (C) Jamal Tuschick
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Er sieht aus wie ein Ostblockstaatschef in den Nachrichten des Kalten Kriegs. Sascha Anderson kultiviert den Tito-Schick bis zur Karpatenkappe [s. Foto, Anm.d.Red.]. In seinen Gedichten knackt eine Mutter Nüsse. Man erfährt „wie der Himmel dem Bruder das Hirn aus der Fraktur schält“. „Die Menschen sind Inseln von oben gesehen, von unten knacken sie Nüsse.“
Anderson hat aus seiner hessischen Heimat zweiten Grades Nüsse mitgebracht. Er erzählt die Geschichte vom Nussbaum auf einem Hof an der Nidder wie ein anderer Peter Kurzeck. Die Nidder fließt in die Nidda und die Nidda fließt in den Main. Das verdient gesagt zu werden in der Moränenlandschaft des Panketals. Anderson erzählt, wie hinter Büdingen der Mond aufgeht, während die einen geschickter als die anderen Nüsse knacken. Basaler geht es nicht. Die Geschickten zeigen erst ihre Tricks, die jedem Primaten geläufig sind, nur nicht allen Menschen. Dann zeigen sie, wie man es auch machen kann. Man muss so einer Nuss doch nur mit dem Boden seiner Bierflasche kommen. Das lässt jetzt jene ein bisschen blöd aussehen, die eben noch dachten, sie hätten ihr Repertoire erweitert. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht. Bert Papenfuß ist „sich selbst gegenüber skeptischer als früher“. Das sagt er so. Papenfuß liest Gedichte aus den späten achtziger Jahren. Ein Gedicht heißt Ohrenbetäubende Scheiße, ein lodernder Titel. Die Kneipe im französischen Viertel des Prenzlauer Bergs säuft ab im Interesse. Mir wird zugetragen, wie überlaufen solche poetischen Hochämter vor zwanzig Jahren gewesen seien. „Ist doch keiner gekommen“, findet einer ohne Platz. „Brücken bäumen sich auf und bersten stillschweigend.“
Sascha Anderson machte den Westen mit Papenfuß bekannt. Die Freundschaft dieser beiden überlebte den Umzug des einen nach West-Berlin 1986. Der Rest ist Geschichte in der Hochspannung zwischen Anpassung und Widerstand - Skandal im Sperrbezirk. In Berührung ist nur eine Randerscheinung – Neue Literatur aus der DDR, 1985 herausgegeben von Anderson und Elke Erb (Kiepenheuer & Witsch) gingen Papenfuß’ Gedichte zum ersten Mal über die Grenze. 1988 erschienen im S. Fischer Verlag Stimmen und Texte einer anderen Literatur aus der DDR (herausgegeben von Egmont Hesse), die neben anderen Anderson und Papenfuß als Protagonisten einer lyrischen Moderne präsentierten, die sich in ihrem ursprünglichsten Verbreitungsgebiet, dem Prenzlauer Berg, vor allem in inoffiziellen Zeitschriften (Schaden, Ariadnefabrik) verbreitete.
Papenfuß bleibt dabei: „Die Wahrheit, wie langweilig.“ „Konfus ist der Zustand, in dem die Komplexität der Wahrheit erfasst wird.“ Gerhard Falkner komplettiert das infernalische Trio bei einem Heimspiel, das Anderson unheimlich sein könnte: „hallo darling, totenstädtlerin / schlag die schlatter, ruf mich an“. Mission Impossible antwortet als Klingelton, bei Anderson dreht die Geschichte „eine Schleife über dem Erzgebirge“. Die Listen der Evolution bringen dem lyrischen Ich die Männer von der Müllabfuhr näher. Zorn „spaziert an der Lavendelleine“.
Der Prenzlauer Berg entstand nach Papenfuß „aus feuchtem Kehricht“. Ein Film zeigt die Künstler als junge Männer in den Hauptrollen. Die Rede ist von einem verschollenen Literaturvideo, dessen Wiederentdeckung dem Abend einen Rahmen gibt. Kling Kopf Schwingen entstand nach einer Idee und in der Regie von Gerhard Falkner vor fünfundzwanzig Jahren. Damals erschien im Aufbau Verlag Papenfuß’ dreizehntanz. In einer Reihe, die „Außer der Reihe“ hieß und von Gerhard Wolf ediert wurde. Das Vorwort feiert den Dichter als „Meister der nicht-syntaktischen Grammatik“ (Karl Mickel). Bis dahin konnte man Papenfuß nur aus den Zerstreuungen sonderbarer Periodika kennen, nun gab es seine Dichtung kompakt. Das roch nach Durchbruch. Der Film dokumentiert eine sendungsfreudige Erwartung der Autoren. Sie erwarteten das Eintreffen ihres Ruhms. Daran hat sich nichts geändert. „Die ewige Aktentasche voller Künstler, die sich außerdem Briefe schrieben“, sagt Anderson passend bei Gelegenheit. Er alimentiert die Berliner Topografie: aus Leidenschaft für Straßennamen. Der Prenzlauer Berg ist außerdem ein „Pisspott“ (Papenfuß). „Das Normale ist losgelassen / Menschen wollen sich genügen“. Ich rätsele gerade (in der nachträglichen Gegenwart eines Katers namens Vormittag), wer spricht. Habe nur das Zitat notiert, nicht den Autor. „Ich muss nicht wissen“, steht auf meinem Zettel in den gemalten Buchstaben eines Mädchens, „wie der Hund heißt, es interessiert mich ja auch nicht der Mensch, der
mir ans Bein pisst“.
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Bild zum o.g. Text - Foto (C) Jamal Tuschick
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Jamal Tuschick - 8. Dezember 2013 ID 7439
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