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Lesung

“Orgel & Lyrik”

mit Jack Day und Volker Braun


Luisenkirche am Gierkeplatz in Berlin-Charlottenburg | Bildquelle: luisenkirche.de





Ich habe Volker Braun (85) noch niemals live gesehen und gehört!

(Oder verlässt mich mein Erinnerungsvermögen, dass ich das inzwischen nicht mehr weiß? denn es kann sein, dass ich ihn doch gelegentlich, als ich Student am Becher-Institut in Leipzig war, in der Karl-Tauchnitz-Straße, wo die Villa Reißig noch immer steht, bei einer Lesung dort erlebt oder verpasst habe; die damalige Elite an DDR-Schriftstellern hielt ja regelmäßig Hof an Ostdeutschlands berühmter Dichter-Schmiede.)

Jedenfalls zählte Braun um diese Zeit – ich schloss mein Studium 1988, also ungefähr ein Jahr vor der sog. Wende, ab – mit zu den entschiedensten Kritikern des abgewirtschafteten und durch seine übergriffigen Stasi-Methoden total verkommenen Regimes. Sein Stück über Die Übergangsgesellschaft (1982 verfasst, 1987 in Bremen uraufgeführt und erst am 30. März 1988 am Berliner Maxim-Gorki-Theater erstgezeigt) galt als eine Art Befindlichkeitsstudie zum bestehenden System, als leiser Wink mit Zaunspfahl:


“Zu Beginn erklingen elegische Sätze aus Tschechows Drei Schwestern, Klagen über ein verfehltes Leben, Fragen an eine ungewisse Zukunft. Aber die Tschechow-Figuren lösen sich aus dem Zitat und werden Menschen unseres Landes und unserer Gegenwart.

Volker Brauns Frage nach dem Lebenssinn zwischen vergeblichem Warten und enttäuschter Utopie bekommt durch die Tschechow-Bezüge literarisch-philosophisches Hinterland und historische Perspektive.

Sein Stück, das sich ebenso geschichtsphilosophisch wie konkret mit Problemen der Entwicklung des Sozialismus auseinandersetzt, gewinnt gerade durch diesen Traditionsbezug seine mit Bitternis grundierte komödiantische Theaterwirkung
[…] und schließlich auch seinen optimistischen Schluss. “

(Quelle: henschel-schauspiel.de)



In erster Linie war und ist der Braun natürlich Lyriker.

Das dürfte auch der aktuelle Grund gewesen sein, weswegen der Literatur- und Musikwissenschaftler Thomas Wohlfahrt (Gründer und langjähriger Leiter des Berliner Hauses der Poesie) auf die Idee kam, mit ihm und dem Organisten Jack Day ein zirka einstündiges literarisch-musikalisches Programm unter dem Titel “Orgel und Lyrik” zu kreieren. Er zeichnet als Kurator für diese neue Veranstaltungsreihe in der denkmalgeschützten Luisenkirche in Berlin-Charlottenburg verantwortlich, und die erste Folge ereignete sich am Sonntagabend.



Volker Braun bei “Orgel & Lyrik” in der Luisenkirche Berlin-Charlottenburg, dort las er am 4. Mai 2025 einige seiner Gedichte | Foto: Andre Sokolowski


Da sitzt er also nun vor etwa hundert (oder mehr) Leuten, die ihn schon seit langem kennen; und auch die, die ihn und sein Werk bis dato noch nicht gekannt haben sollten, v.a. die wenigen jüngeren unter ihnen, wollen etwas von ihm hören. Alle wissen freilich, dass er einer der bekanntesten Lyriker im wiedervereinigten Deutschland ist – und schon geht’s los mit Bachs Präludium in Es-Dur BWV 552; Jack Day spielt es. Und Volker Braun kann von seinem Stuhl aus direkt gegenüber auf die Orgelempore nach oben schauen, um zu sehen, wann er dran ist.

Ein erster Block mit fünf Gedichten startet. Mit “Sonne, Mond und Sternen”, einer Verszeile aus Die Verantwortung, fängt er an; hierin geht es wohl auch um die hochgewisse Endlichkeit unseres Menschendaseins… In Das Eigentum (einem Wendegedicht von 1990) konstatiert er nüchtern, resignierend, “da bin ich noch, mein Land geht in den Westen”… Am Weststrand VI, einer lokalen Neuerfahrung für ihn als Neu-Ankömmling aus der früheren DDR, beobachtet er gewisse Fälle eines “Kannibalismus”… Und am 6. 5. 96, einem sehr persönlichen Gedicht, trauert er um die verstorbene Mutter und lässt sich vom Maler Penck dessen Farben und Bilder zeigen…

Nach den von Jack Day gespielten sechs Sweelinck-Variationen zu “Erbarme dich mein, o Herre Gott” SwWV 303 folgen ebenso viele weitere Gedichte, die teilweise einen italienischen oder mediterranen Bezug haben, Plinius grüßt Tacitus beispielsweise, wo es auch um Grund-und-Boden-Verhältnisse an den Hängen des Vesuv zu gehen scheint; in Poliognano spürt er das “Einschlafen des Lärms” zu Zeiten der Siesta…

Jack Day beschließt seinen Orgel-Anteil mit Retrové (Estampie) aus dem sog. Robertsbridge Codex – kennt hierzulande kaum wer, dient für mich daher als musikalische Neuerfahrung.

Vier letzte Rezitationen: Volker Brauns Erfahrung, die er als Verkürzung einer seiner Reden ankündigt; Rügen für die Regierung als politisches Gedicht, in dem dann auch an die von damaligen DDR-Urlaubern sehnsüchtig beobachtete Schwedenfähre erinnert wird; die Inbesitznahme der großen Rolltreppe durch die Medelliner Slumbewohner beschreibt eine “Sphäre anderen Denkens”, ein Hölle-und-Himmel-Spiel, und/ oder die Ermahnung an Kommunardenes, was soziale Gräben überbrückt bzw. überbrücken könnte oder so…

Die finale Bestimmung des Abends gipfelt im Versuch, Sprache und Musik gemeinsam walten zu lassen – Braun rezitiert Verse oder Versteile, Day kommentiert sie mit improvisierten Klängen auf der Orgel.



Prospekt der Reil-Orgel in der Luisenkirche Berlin-Charlottenburg | (C) Martin Doering


* *

Bis Jahresende werden jeweils am Anfang des Monats (außer im Ferienmonat August) folgende Dichter bei “Orgel & Lyrik” mit dabei sein: Kathrin Schmidt (1.6.), Norbert Lange (6.7.), Alexandru Bulusz (7.9.), Orsolya Kalász (5.10.), Monika Rinck (2.11.) und Andreas Altmann (7.12.).

Andre Sokolowski – 6. Mai 2025
ID 15254
ORGEL & LYRIK (Luisenkirche in Berlin-Charlottenburg, 04.05.2025)
Johann Sebastian Bach: Präludium Es-Dur, BWV 552
Volker Braun: Gedichte
Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621): Variationen über Erbarm dich mein, o Herre Gott, SwWV 303
Volker Braun: Gedichte
Anonymus (Robertsbridge Codex, 14. Jh.): Estampie Retrové
Volker Braun: Gedichte
Jack Day, Orgel
Volker Braun, Rezitation

Weitere Infos siehe auch: https://www.luisenkirche.de


https://www.andre-sokolowski.de

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