Frank Klötgen
im "Bahnwärter Thiel", München
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Foto (C) Petra Herrmann
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Besonders schön ist München manchmal dort, wo es gar nicht nach München aussieht. Wo es so tut, als sei es Berlin. Zum Beispiel im „Bahnwärter Thiel“, einer Kulturstädte der besonderen Art, zusammengestückelt aus alten Containern, müllreifen Möbeln und verschrottenen S-Bahn-Wagons. Alles von Streetart-Künstlern bemalt. Und von vielen jungen Leuten besucht.
Diese Kulturstätte, benannt nach der gleichnamigen Novelle von Gerhart Hauptmann, gibt es seit 2015 auf dem Gelände der ehemaligen Großviehhalle. Die Spielstätte bietet Raum für verschiedene Formate und unterstützt so neben größeren Veranstaltungen auch kleinere, freie Künstlergruppen der Münchner Szene. Dies inmitten einer Stadt, die für ihre Museen, Opern und Theater berühmt ist.
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What a summers evening, dieser 21. August! Noch um 22 Uhr 25 Grad. Gerade richtig für eine Poetische Nacht mit dem vielfach preisgekrönten Slammer Frank Klötgen (Poet, Netzliterat, Sänger, Literaturpreisträger der Zeit und Webmaster von Eminem bis Element of Crime). Er hat dieser Tage sein dreitausendstes Gedicht verfasst. Und er hat was mit Berlin zu tun. Denn da hat er viele Jahre verbracht, noch nicht sehr lange lebt er in der bayerische Landeshauptstadt.
Klötgen ist ein Spoken-Word-Künstler der Sonderklasse, bei dem Sprache zu einer musikalischen Partitur wird. Mein erstes Mahl mit Carmen, eine Symphonie des Kauens nach muskalischen Motiven von Bizet, Grieg, Orff, Bach, Smetana und Mozart, erzählt von der Kunst des Essens. Der Hummelfluch nach Rimsky-Korsakov inszeniert die Rache des Insekts am mörderischen Homo sapiens. Dazwischen viele Kurz- und Kürzestgedichte, Kalauer im Stil von Morgenstern oder Gernhardt, spielerisch grotesk oder von ironisch gebrochener Melancholie. „Schwermut“ reimt sich bei Klötgen auf „Leergut“.
Rasant geht’s es dahin, über Kreuz-, Paar-und Binnenreime, Alliterationen, alle erdenklichen klassichen Versatzstücke und viele weggesprochene Pointen hinweg. Es trägt der Rhythmus, es sitzt die Pause. Unmöglich, alles aufs erste Mal zu verstehen. Macht nichts: akustisch mitschwimmen, wiederkommen, nochmal hören, nachlesen.
Zu diesem Zweck gibt’s Bücher von Frank Klötgen, etwa Holz und die 7 Todsünden. Aus den unverkauften hat er schon den Berliner Flughafen nachgebaut und pünktlich eröffnet. Kein Wunder, dass man Klötgen in seiner Eigenschaft als Bucharchitekt schon zu vielen bedeutenden Festivals auch im Nahen Osten eingeladen hat.
45 Gedichte und eine gute Stunde später geht die Sonne unter. Beifall und Bier. Frank Klötgen hat München leuchten lassen – so wie es die Stadt eigentlich nicht gewohnt ist.
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"Bahnwärter Thiel" in München | Foto (C) Petra Herrmann
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Petra Herrmann - 22. August 2018 ID 10863
Weitere Infos zu Frank Klötgen
Post an Petra Herrmann
petra-herrmann-kunst.de
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