Unsere Neue Geschichte (Teil 14)
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hello camel
Fotografien von Christoph Bangert aus den Jahren 2003 bis 2013
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Der Fotojournalist Christoph Bangert hat etliche Kriegs- und Krisengebiete bereist, wie Afghanistan, Gaza, Darfur, Libanon und den Irak. Viele seiner Fotos erscheinen in führenden Zeitschriften weltweit. Er meint: „Wenn alle Menschen das gesehen hätten, was ich gesehen habe, gäbe es keine Kriege mehr.“ Bangert schaut sehr genau hin und versucht, nicht schon im Vorfeld zu zensieren. Dabei wird er von den Opfern von Krieg und Folter häufiger gebeten, ihr Elend abzulichten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dagegen sperren sich aber die Magazine in der Regel aus Sorge, der „Pornografie der Gewalt“ bezichtigt zu werden. Es geht Bangert aber nicht um Voyeurismus, er meint, dass die Menschen ein Recht darauf haben, dass dokumentiert wird, was ihnen widerfahren ist. „Schließlich kann sich nichts ändern, wenn wir ignorieren oder verdrängen, was in der Welt geschieht.“
Als er 2014 dann ein Buch mit bislang unveröffentlichten Fotos herausbrachte, nannte er es leicht provokativ War Porn – Kriegspornografie - und erzielte große Aufmerksamkeit und Anerkennung damit. Er stellte diese Bilder in ihren Kontext, und dadurch verringerte sich auch die mögliche Gefahr, dass sich gewaltverherrlichende Voyeure an diesen Fotos delektieren. Damit das Anschauen dieser Fotos ein bewusster Prozess sein konnte, war das Buch so gestaltet, dass man die Bilder selber freilegen musste. - Sein neuester Bildband hello camel ist dem eher entgegengesetzt. Es zeigt den Aberwitz des Krieges. Bangert sieht diese beiden Bände als Einheit: „Beide Bücher legitimieren einander. Ihre Elemente sind Horror auf der einen und Banalität und Absurdität auf der anderen Seite.“ Es sind also zwei Seiten einer Medaille, die den Menschen, die Krieg nur aus den Massenmedien kennen, nicht bekannt sind. „Beide Elemente sind aber in den Medien unterrepräsentiert“, erklärt Bangert.
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Mit faltbarer Toilette und Papier in den Einsatz. Die Deutsche Bundeswehr ist hygiene- und umweltbewusst - aufgenommen am 28. September 2011 in Nawabad, Kundus, Afghanistan | Foto © Christoph Bangert
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Im Vorwort von hello camel heißt es: "Wir wollen, dass Krieg ein dramatischer und heroischer Kampf zwischen Gut und Böse ist, aber das ist nicht so. Es gibt keine Helden... In dem Augenblick, wo uns bewusst wird, dass der Massenmord an Menschen ein gewöhnliches, alltägliches Ereignis ist, das von gewöhnlichen Menschen wie dir und mir organisiert und ausgeführt wird, dann beginnen wir die Tragweite und das wahre Grauen des Krieges zu verstehen." Auf die Frage, wenn es keine Helden gibt und alles gewöhnliche Menschen sind, ob es dann auch keine Monster gäbe, antwortete er: „Es sind keine Monster. Es gibt einzelne Psychopathen, die da hervortreten und krankhaft Gewalt ausleben, aber die sind die Ausnahme.“ Das erklärt dann wohl auch die Achtsamkeit der Deutschen Bundeswehr bezüglich der Toiletten. „Ja, im Krisengebiet gibt es keine Müllabfuhr. Die Deutsche Bundeswehr hinterlässt keine Abfälle, sondern verbrennt sie. Das ist nicht die beste, aber die einzig realisierbare Möglichkeit für Hygiene und Schonung der Umwelt.“
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Ein Kamel schaut sich das Treiben amerikanischer Soldaten an - aufgenommen am 1. Jnui 2005 in Ba'aj, Nineveh, Irak | Foto © Christoph Bangert
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Der Titel hello camel geht auf eine Idee von Bangerts Ehefrau Chiho zurück, die Grafikdesignerin ist und den Band gestaltet hat. „Das Kamel steht symbolisch für all das Fremde, dem die jungen Soldaten und Soldatinnen ausgesetzt sind“, erklärt Bangert. „Es steht für den Kulturschock, den sie erleiden, wenn sie mit 19 oder 20 Jahren aus ihrer gewohnten Umgebung herausgeholt und in diesen Ländern stationiert werden, deren Kultur sie meist nicht kennen. Das Kamel steht für den kulturellen Graben zwischen den Einheimischen und denen, die sie beschützen sollen.“
Viele der Fotos zeigen, wie Soldaten und die Bevölkerung unter teilweise schwierigsten Bedingungen versuchen, so etwas wie ein normales Leben zu führen. Sie konnten sich oft nur provisorisch einrichten. Bangert machte Fotos von einer Hochzeit im Irak in Krisenzeiten, der riesigen Sicherheitsanlage, hinter der Journalisten in Bagdad ihre Arbeit verrichten, oder einen Soldaten, der Straßenschilder montiert. Einige der Einheimischen haben sich auf die Soldaten eingestellt. Am amerikanischen Nationalfeiertag verkauft ein Afghane Partyartikel an die Armee.
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Das Leben und die Geschäfte müssen weitergehen. Ein Afghane verkauft Partyartikel an US-amerikanische Soldaten an deren Nationalfeiertag - aufgenommen 4. Juli 2013, Jalalabad, Nangahar, Afghanistan | Foto © Christoph Bangert
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Beim Fotografieren ist Bangert in mehrerer Hinsicht an die Grenzen gegangen, selbst später zu Hause, als er um die 100.000 Bilder durchgegangen ist, um eine Auswahl für das Buch zu treffen. „Ich habe schon während der Einsätze gezielt solche Momente wahrgenommen und fotografiert“, erzählt er. „Mit der Zeit habe ich einen Blick dafür entwickelt und solche Bilder gesammelt.“ Auf die Frage nach der Absicht des Bildbandes erläutert er: „Es soll Kritik und eine Anregung zum Nachdenken sein. Ich habe die Absurdität bewusst übertrieben, um den Betrachter zu überfordern. Wir projizieren unsere eigene Lebenserfahrung in die Bilder. Als Journalist habe ich die Aufgabe, den Krieg für diejenigen anschaulich zu machen, die keine Kriegserfahrung haben.“ Nach der Notwendigkeit befragt, antwortete er: „Diese Kriege und Krisen haben etwas mit uns zu tun, allein schon durch die horrenden Gewinne der Rüstungsindustrie und viele andere Aspekte. Wir ignorieren das häufig und das stört mich.“
hello camel (inklusive War Porn) passt insofern in unsere Reihe „Unsere Neue Geschichte“, weil es einen erweiterten Blick auf unsere Wahrnehmung von Krieg erlaubt, indem Erfahrungen gezeigt werden, die wir in den Massenmedien nicht zu sehen bekommen. Diese aber prägen unsere Sicht. Entscheidend ist aber Bangerts Entmystifizierung des Krieges, den er als grausam, absurd und „normal“ darstellt. Es gibt so gut wie keine Helden und Monster, stattdessen wird die unfassbare Alltäglichkeit des Krieges gezeigt, was das Geschehen um so aberwitziger macht, als es von Menschen wie dir und mir durchgeführt wird. Aber genau da, ist auch ein möglicher Ansatzpunkt zur Änderung.
Besonders schön ist Bangerts Danksagung an die unsichtbaren "Helden" des Krieges: Er bedankt sich bei seinen einheimischen Begleitern, Fahrern und Übersetzern, die ihm erst ermöglicht haben, seinen journalistischen und dokumentarischen Aufgaben nachzukommen.
[Anm. d. Red.: Das Interview mit Christoph Bangert wurde von unserer Autorin am 25. Juni 2016 geführt.]
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Helga Fitzner - 5. Juli 2016 ID 9417
Christoph Bangert | hello camel
Gestaltet von Chiho Bangert
Festeinband, 24 x 32 cm
96 Seiten, 44 Farbabb.
EUR 39,90
Kehrer Verlag, Heidelberg 2016
ISBN 978-3-86828-683-0
Weitere Infos siehe auch: http://www.artbooksheidelberg.com/html/detail/de/christoph-bangert-978-3-86828-683-0.html
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