Auf dünnem Eis
Jakob Augstein trifft auf Deborah Feldman
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Manche Gespräche nehmen einen so unvorhergesehenen Verlauf, dass sie eine ganz eigene Spannung entwickeln. Talkshowgäste können die an sie gerichteten Erwartungen unterlaufen. Gastgeber können aus dem Konzept gebracht werden. Jakob Augstein (52), Miteigentümer des Spiegel-Verlages und Geschäftsführer und Chefredakteur von Der Freitag, tritt gerne zusammen mit namhaften Persönlichkeiten ins Rampenlicht. Unter vier Augen heißt eine in der Kölner Spielstätte am Offenbachplatz stattfindende Gesprächsrunde, zu der er in regelmäßigen Abständen einen Gast einlädt - am 29. Oktober war die 33jährige US-amerikanisch-deutsche Autorin Deborah Feldman an der Reihe.
Gleich zu Beginn bezeichnete Feldman Augstein aufgrund seiner undifferenzierten Israelkritik als Antisemiten. Sie erklärte, dass der Zuschauerraum auf ihren Wunsch hin beleuchtet sei, damit sie sich mit Augstein nicht allzu alleine auf der Bühne fühle.
Jakob Augstein (der viele Jahre als Sohn des Spiegel-Begründers Rudolf Augstein galt) ist leiblicher Sohn des Schriftstellers Martin Walser. Deborah Feldman ist eine jüdische Bestseller-Autorin. Sie wurde durch ihren autobiographischen Debütroman Unorthodox (2012, deutsche Übersetzung 2016) und ihre autobiografische Erzählung Überbitten (2015/ übersetzt 2017) international bekannt. Sie verarbeitet in diesen Werken ihre Kindheit und Jugend in einer orthodoxen jüdischen Gemeinde in New York. Ihr Werk erzählt von den Einschränkungen in dieser Sekte, ihrer Zwangsverheiratung als Siebzehnjährige, der Geburt ihres Sohnes und der Flucht mit ihrem Sohn nach Deutschland. Maria Schrader verfilmte übrigens Feldmans Debütroman als vierteilige Serie für den Streamingdienst Netflix; ihr Veröffentlichungsdatum steht noch nicht fest.
Zuschauererwartungen wurden gleich zu Beginn der lange im Vorfeld ausverkauften Veranstaltung unterlaufen. Feldman verbat es sich, dass Augstein seinem Skript folge und ihr Fragen zu ihrem Leben und Werk stelle. Sie kokettierte: „Ich finde es gut, wenn ich dir hier nicht den Juden machen muss.“ Sie bat den Gastgeber stattdessen darum, das übliche Format zu verändern und ihn zu interviewen. So ergab sich zwischen den Beiden ein lockerer und subtiler Diskurs, der von schnellen geistreichen Pointen und Spitzen insbesondere von Feldman gegen Augstein getragen war. Es wurde zunächst viel über Eigennamen geredet. Feldman flirtete mit Augstein, als sie ihn fragte, ob sie seinen mächtigen Familiennamen nicht haben könne. Augstein dazu: „Da hätte aber noch der eine oder andere mitzureden.“ Auch wurde über den Reiz der Bibel als literarisches Werk gesprochen. Es fiel Feldman auf, dass Augstein seinen Sohn Joseph nannte, ganz wie der biblische Jakob im 1. Buch Mose. Augstein lobte daraufhin die klaren und reduzierten Bilder der Bibel und fragte Feldman nach ihrem Vornamen. Sie erzählte, dass sie in ihrer Kindheit von ihrer New Yorker Gemeinde, einer abgeschottet lebenden jüdischen Sekte, Sarah genannt wurde. Über Sara, die Frau des Stammvaters und Patriarchen Abraham, sei in der Gemeinde anerkennend gesagt worden, dass sie nie das Zelt verlassen habe. Bald zog Feldman es so vor, für sich ihren auf ihrer Geburtsurkunde verzeichneten Namen zu wählen: Deborah, nach der Prophetin, Juristin und Heerführerin Debora in der hebräischen Bibel, dem Tanach.
Feldman lebt heute als alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn in Berlin. Deswegen befragte sie Augstein nach seinen Erfahrungen als Kind einer alleinerziehenden Mutter, der Übersetzerin Maria Carlsson. Augstein problematisierte, dass es nie gut sein kann, wenn man als Kind sich nur an einem Elternteil messen und von ihm gespiegelt werden könne. Identitätstheorien wurden abgehandelt, und das Gespräch erinnerte eher an ein soziologisches Oberseminar, als Augstein behauptete, dass Identität immer nur als Abgrenzung gegen andere erlebbar sei. Feldman entgegnete ihm, dass Identität aber auch ein Phänomen im Bewusstsein einzelner sei, ohne den Bezug auf andere zu benötigen. Feldman schilderte eine Begegnung mit einem AfD-Kreistagsabgeordneten, ihre Wahrnehmung dieser Person und den öffentlichen Umgang mit der AfD, der häufig durch eine zu oberflächliche Ablehnung geprägt sei. Feldman betonte, dass man nicht vergessen dürfe, dass auch mehr und mehr gebildete Menschen glauben, man könne als Bürger nur in der AfD etwas in der Politik bewegen. Augstein pflichtete ihr hier bei und behauptete, dass das Aufstreben der AfD bestätige, dass die herkömmlichen Parteien versagt hätten.
Gegen Ende erklärte Feldman, dass sie Augsteins journalistische Publikationen über die Israelpolitik des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und die deutsche Reaktion darauf im erheblichen Maße ablehne. Sie meinte, dass viele ihrer jüdischen Freunde ihr von dieser Begegnung mit ihm abgeraten hätten. Augstein entgegnete, dass er es nicht akzeptieren würde, wenn ihm irgendeine christliche Gemeinde reinreden würde, mit wem er sich treffen könne. Auch wenn Feldman dies unkommentiert ließ, ist hier anzumerken, dass in Deutschland die christlichen Gemeinden nicht Opfer eines Holocaust wurden. Letztlich empfahl Feldman Augstein nichts mehr zum Thema Israel zu schreiben und diese Aufgabe besser jüdischen Journalisten zu überlassen, die noch nicht wie er hinsichtlich dieses Sujets „verbrannt“ seien.
Das Gespräch über Religiosität und Diskursmacht, bei dem Feldman Augstein mal siezte und mal duzte, endete ebenso abrupt wie es begonnen hatte. Während des Gespräches war es jedoch spannend zu beobachten, wie sehr die Beiden miteinander rangen, wenn Feldman mit Augstein ins Gericht ging. Unter anderem warf sie ihm vor, keines ihrer Bücher gelesen und sie dennoch eingeladen zu haben. Somit war es wohl konsequent, dass an diesem Abend leider auch nicht über ihre Bücher gesprochen wurde.
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Jakob Augstein mit Deborah Feldman in der Kölner Spielstätte Offenbachplatz | Foto © Ansgar Skoda
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Ansgar Skoda - 1. November 2019 ID 11776
Weitere Infos siehe auch: https://www.deborahfeldman.de/
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