Vermittlung – fehlende Vermittlung
Jeder Mensch ist ein Musiker!
Man stelle sich mal vor:
Tabula rasa im inneren Kreis avantgardistischer Musikschaffender - und dann die neue Erkenntnis: wenn jemand es Musik nennt, ist es Musik. Jeder ist ein Musiker!
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Jodler, aus: Alfred Leonz Gassmann s`Alphorn 1938
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Was in der bildenden Kunst schon Geschichte ist, ist in der zeitgenössischen Musik in dieser Radikalität unvorstellbar. Zu groß ist die Kluft zwischen dem Laien und dem Profi.
Dabei ist doch Adorno längst Schnee von gestern, auch wenn dessen Postulat von der Autarkie und letztendlich der Unverständlichkeit der Kunst aus den historischen Zusammenhängen verständlich ist. Oder anders ausgedrückt: Wird eine absolute Farbkombination zum trivialen Tapetenmuster, das womöglich auch noch preiswert im Baumarkt zu haben ist, war es für Adorno auch schon um die Kunst geschehen. Aus heutiger Sicht ist das kaum mehr vorstellbar. Es würde bedeuten, Veränderungen und Prozesse der letzten fünfzig Jahre zu leugnen. Dennoch scheint bei einem großen Teil der zeitgenössischen Musik noch Adornos Staub auf den Tasten zu liegen.
Aber was wäre dagegen einzuwenden, wenn Beat Furrers „Fama“ im MP3-Player eines Neuköllner Schülers gespeichert wäre?
Die Musikschaffenden haben hier einiges verschlafen. Jetzt sind es hauptsächlich finanzielle Nöte und die Angst vor dem Abdriften kultureller Werte, die die Diskussion um die Vermittelbarkeit von zeitgenössischer Musik neu entfachen. Und die hängt meines Erachtens eng mit dem Selbstverständnis der Musikschaffenden zusammen. Von dort hört man oft das Argument, Musik muss sich selbst vermitteln. Die Komponisten wollen nichts erklären. Damit wird der sekundären Vermittlung eine untergeordnete Rolle zugeschoben.
Musik soll das sein, was es ist, Musik. Auch das ist aus der bildenden Kunst hinlänglich bekannt. Aber: Ready-Mades oder Pop-Art – Werke haben ihre Ursprünge in Alltagsgegenständen, sie befinden sich im gesellschaftlichen Kontext, was auf zeitgenössische Musik nur zum Teil zutrifft. Ein Topfreiniger der Marke Brillo, die ich für 99 Cent im Real-Markt kaufen kann und bei Andy Warhol in Brillo Boxes zum Kunstwerk erklärt werden, hinterlassen auch beim Nicht-Bildungsbürgertum neben der Kenntnis des Materials vor allem eins: Das kann ich auch.
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Jodler, aus: Alfred Leonz Gassmann s`Alphorn 1938
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Ganz anders bei zeitgenössischer Musik:
Abgesehen von ein paar Ausnahmen setzt beim Hören eines zeitgenössischen Werkes nur Unverständnis ein. Dabei ist eben auch ein Geräusch einerseits Kunst, andererseits etwas Alltägliches. Somit könnte die zeitgenössische musikalische Sprache rein theoretisch dem Laien zur Verfügung stehen. Diese Tatsache wird allerdings bei vielen Musikschaffenden völlig ignoriert. Es existiert keine Einbettung in einen soziokulturellen Rahmen. Und hier könnte die sekundäre Vermittlung einen erheblichen Beitrag leisten. Aber ohne das Wollen und Zutun der Künstler und Künstlerinnen funktioniert es nicht.
Es ist schlicht schade drum, diese neuen Klangwelten und ihre Faszination nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zu öffnen.
Natürlich darf man bei all dem nicht vergessen, dass es ein vielfältiges Angebot zeitgenössischer Musik gibt. Das bedeutet, dass auch das Problem der Vermittelbarkeit jeweils ein anderes ist. Die Musik des Duos Stimmhorn erfreut sich zum Beispiel bei einem sehr gemischten Publikum großer Beliebtheit, wohingegen man bei dem Konzert einer Komposition von György Ligeti den Eindruck hat, es wäre eine Veranstaltung der zahnärztlichen Vereinigung.
Die Frage, warum Vermittlung nicht stattfindet, bleibt offen. Und um nicht naiv zu klingen, es ist wahrlich nicht das erste Mal. Der Zustand kultureller Vermittlung ist in weiten Teilen mehr als mangelhaft, und da meine ich nicht nur die zeitgenössische Musik.
Es gibt auf Seiten der Kulturschaffenden auch Ängste, die es zu überwinden gilt: Zweckentfremdung für bildungspolitische Aufgaben, die mit der Vermittlungsleistung einhergehen würde, Verlust künstlerischer Autonomie, Anpassung an Angebot und Nachfrage. All diese Argumente haben sich seit Jahrzehnten nicht verändert und haben sicherlich ihre Berechtigung. Aber sie erscheinen mir angesichts der auch nicht wirklich neuen, schlichten, fast schon idealistischen Forderung nach Öffnung zeitgenössischer Musik nicht nur für eine privilegierte Bildungselite übertrieben oder befremdlich. Und wenn dann noch die Befürchtung künstlerischer Trivialisierung ins Feld geführt wird, ist jede Auseinandersetzung schlicht und ergreifend unmöglich. Denn dann ist es fürwahr besser, diejenigen bleiben unter sich, schlürfen Champagner und nehmen bei der Lufthansa die Business –Class (wenn sie die bezahlen können).
Aber wie gesagt, schade drum. Eine Tür wurde einen Spalt geöffnet: In der Konferenz im Rahmen von MaerzMusik, einer Veranstaltung von Réseau Varèse, wurde das Thema angesprochen und im Programmheft wurde mit einem Essay von Janine Wildhage auf die Problematik eingegangen. Nun sollte man einen Schritt weitergehen und nachschauen, was sich hinter der Tür verbirgt.
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Jodler, aus: Alfred Leonz Gassmann s`Alphorn 1938
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QuerKlang – experimentelles Komponieren in Berliner Schulen- im Rahmen von MaerzMusik, Festival für zeitgenössische Musik
Die Einsicht in den erbärmlichen Zustand kulturelle Bildung und die Erkenntnis, dass das Publikum nicht einfach so nachwächst, hat vor allem die Vermittlung von Musik an Kinder und Jugendliche gefördert.
Zum Beispiel gibt es von der Kölner Philharmonie Krabbelmusik für Babies, oder an der Essener Folkwang-Schule die „Little Piano School“ von Kim Monica Wright für Kinder zwischen zwei und vier.
In Großbritannien arbeiten schon seit 1992 Musiker und Musikerinnen regelmäßig an Schulen und schaffen zeitgenössische Werke.
Auch in Berlin fand im Rahmen der MaerzMusik erneut das Projekt QuerKlang statt, das 2004 seinen Anfang nahm. Lernende unterschiedlicher Berliner Schulen, Musikschaffende, Studierende und Lehrende waren daran beteiligt. Schüler und Schülerinnen aus der 5. bis zur 12. Klassenstufe schufen ihre eigenen Kompositionen mit Hilfe zeitgenössischer Kompositionsverfahren. Der Saal war bei der Erstaufführung im Konzerthaus am Gendarmenmarkt am 18.3.07 überfüllt. Weitere Konzerte finden am 23.3. 07 in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz satt, sowie am 25.3.07 im Haus der Berliner Festspiele.
Es wurde im Konzerthaus am Gendarmenmarkt zunächst „Parvus ludus“ gezeigt von Schülern und Schülerinnen der 5. Klasse. Die Kinder erzeugten auf irgendeine Art und Weise einen Klang, der aufgenommen wurde und mit Hilfe des Keyboards wiedergegeben wird. Zum anderen entwickelten sie aus ihren Namen eigene, kleine Stücke.
Die 10. Klasse suchte nach neuen, erst einmal ungewohnten Klangmöglichkeiten und sammelte diese für kleine Kompositionen. Auch der Klang chinesischer Instrumente und Töne wurde neu entdeckt. Die Schüler und Schülerinnen erzielten dabei erstaunliche Ergebnisse.
Sicherlich ist diese Art der Vermittlung nicht ganz einfach. Unterschiedliche Herangehensweisen stoßen aufeinander. Zum Beispiel die Frage: Wie viel Freiräume sind nötig, wie viel möglich?
Wir haben ein paar Schülerinnen der 5.d Klasse des Goethegymnasiums zum Projekt Querklang befragt:
Spaß hat es den meisten gemacht, vor allem das selbständige Arbeiten und dass das Produkt ihrer Arbeit der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Auch unterschied es sich vom herkömmlichen Musikunterricht, in dem viel gesungen wird und eben kaum etwas selbständig erarbeitet wird. Nur eine Sache bemängelten die Mädchen: Wenn die Gruppe mit ihren Ausarbeitungen mehr als zufrieden war, „haben die gesagt, dass gefällt uns aber nicht “ und es wurde geändert. Es ist wieder die Frage nach den kreativen Freiräumen und Entfaltungsmöglichkeiten. Auf die Frage, warum die das denn geändert hätten, wenn es ihnen doch gut gefallen hatte, kam die Antwort – mit einem Klang von Traurigkeit in der Stimme – „Erwachsene sind eben so.“
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w.p. -red./20.März 2007 ID 00000003079
Weitere Infos siehe auch: www.berlinerfestspiele.de
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