Schreiben gegen den Weltuntergang 2012 (Wettbewerbsbeitrag)
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DER WELTUNTERGANG IST
TEILWEISE VORLÄUFIG
(FINANZAMT KÖLN-OST)
von Politgurke
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Da sitze ich doch glatt ein paar Stunden vor dem Silvesterabend am Rechner und beschließe, an einem Schreibwettbewerb teilzunehmen, dessen Abgabetermin der 31. Dezember ist. Tatsächlich beschlossen hatte ich das schon vor einigen Wochen, doch hier macht sich mein immer wiederkehrendes Problem mit dem Raum-Zeit-Kontinuum bemerkbar. Immer mehr Raum, eingenommen von Unwichtigem, bedingt irreduktibel immer weniger Zeit für Wichtiges. Und das kontinuierlich! Ein Teufelskreis…
Einmal mehr wundere ich mich über mich selbst. Meine Spontaneität in Ehren, aber das wird knapp. Oder sollte ich lieber eng schreiben? Egal wie ich es ausdrücke, beide Formulierungen setzen mich enorm unter Druck. Wirklich verrückt, dass ich das jetzt schon selbst mache. Also mich unter Druck setzen. Normalerweise übernimmt das Finanzamt diesen Part.
Ich wollte mich lediglich einen Moment lang im Internet nach einer für mich geeigneten Örtlichkeit für die Party des Jahres umsehen. Fakt ist, ich weiß bis heute (31.12.!) noch immer nicht, wo ich dieses Jahr den Jahreswechsel feiern werde. Das ist das Doofe an einer Trennung.
Solange eine Beziehung funktioniert, braucht man(n) sich darüber keine Gedanken zu machen. Ich zumindest brauchte das nicht. Für gewöhnlich wusste ich bereits im Oktober, bei und mit wem ich ins neue Jahr hineinrutschen würde.
Dieses Jahr kann ich da deutlich, um das Wort noch einmal zu benutzen, spontaner agieren. Spätestens heute Abend werde ich es wissen. Das „wo“. Oder? Ich weiß es nicht. Momentan schreibe ich ja meinen Beitrag für den Wettbewerb. Und darauf bereite ich mich im Vorfeld, nämlich genau jetzt, akribisch vor.
Ich fahre schnell in den Supermarkt. Zurück komme ich mit zwei Flaschen Weißwein (lieblich), zwei Tüten Chips und einer Schachtel Zigaretten. Das Rauchen habe ich zwar vor sechs Monaten bereits aufgegeben, aber irgendwie, wahrscheinlich aus Gewohnheit, legt der Kassierer jedes Mal trotzdem ein Päckchen dazu. Ich bemerke das allerdings immer erst zu Hause. Beim Ausdrücken.
So. Da sind wir. Ich halte es für opportun, mich Ihnen jetzt kurz vorzustellen. Denn wenn Sie bis an diese Stelle des Textes vorgedrungen sind, dann haben Sie nicht nur meinen Respekt verdient, nein, sondern auch somit das Recht erwirkt zu erfahren und mir die Pflicht auferlegt mitzuteilen, wer gerade dabei ist, Ihnen Ihre kostbare Zeit zu stehlen und Ihren Geist zu okkupieren.
Atmen Sie nun bitte dreimal langsam tief ein.
Anschließend dreimal tief aus.
Und nun stellen Sie sich bitte Telly Savalas vor, der mit seiner rechten Hand einen großen Akku-Bohr-Schrauber aus seiner Herrenhandtasche hervorholt. Für den Fall, dass Sie diesen Schauspieler nicht mehr kennen sollten, schlage ich vor, bei Wikipedia nachzuschauen. Kehren Sie danach bitte umgehend zurück zu diesem Text.
Als nächstes erscheint nun Yul Brynner (Wikipedia) vor Ihrem geistigen Auge. Er hält einen großen Zylinder in seiner linken Hand. Er greift hinein, schreit auf und zieht einen Orang Utan in einer Öljacke heraus.
In Ordnung. Oder auch nicht. Kommen wir nun zu meiner Person.
In Gedanken sehen Sie links einen Orang Utan im gelben Ostfriesennerz, der einen Akku-Bohr-Schrauber auf seinem Kopf balanciert. Rechts daneben erscheint nun Paris. Nicht die Stadt, sondern der Lebensabschnittsgefährte von Helena (Tipp: Wikipedia). Lassen Sie dieses Bild auf sich wirken. Ich weiß genau, was Sie in dieser Sekunde denken, und ich gebe Ihnen in beiden Fällen Recht!!!
Was Sie über mich wissen sollten: Ich bin spontan, flexibel, humorvoll, einfühlsam, zärtlich, tolerant, stark, aufbrausend, belesen, hilfsbereit, genau, effektiv, analytisch denkend, gesundheitsbewusst, sparsam, sauber, kritisch, ängstlich, übervorsichtig, nörgelig, kleinlich, mag Veränderungen, bin 79 Kilo groß und wiege 1,82 Meter. Meine Hobbies sind dieselben wie letztes Jahr. Rechnen, Schreiben und Lesen. Mit dem Weltuntergang rechne ich schon lange, darüber schreiben wollte ich nie, davon gelesen habe ich oft.
Aber wissen Sie was ? Der Weltuntergang wird nicht kommen! Der hat kurzfristig abgesagt. Jawohl. Hat er. Er stand vor mir und sagte, das Meiste sei ohnehin schon erledigt, warum also sollte er Energie darauf verschwenden, uns nächstes Jahr kurz vor Weihnachten heimzusuchen?!? Hat er mir genau so (oder so ähnlich) mitgeteilt. Ist keine 20 Minuten her. WIRKLICH!!!
Klasse Einstellung, wie ich finde.
Da sieht man es mal wieder: Auch Katastrophen sind nur Menschen!
Also wir sehen uns spätestens am jüngsten Tag. Falls ich da nicht schon was vor habe…
(C) Politgurke
Die 12 besten aller eingereichten Wettbewerbsbeiträge (alphabetische Reihenfolge):
Beckmann, Max - Ideen gegen den Untergang/Szenario 17b
Büschgens, Andrea - Zeitenwende
Friedrich, Silvia - Faschingsdienstag 2012
Kornberger, Ruth - Yoginis
Krapf, Joël - Weltuntergang ohne mich
Messerschmidt, Nadine - Weltpremiere
Oppermann, Swantje - Piet
Peter, M. - Bekenntnis eines Irren
Politgurke - Der Weltuntergang ist teilweise vorläufig (Finanzamt Köln-Ost)
Scharley, Melanie - Einfach vergessen
Siegenthaler, Brigitte - Die Botschaft
Wieland, Kai - Flight 19
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HOTSQUAT CALENDAR 2012 / Februar, Minnotaurus - Foto (C) Antal Thoma
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Kurzgeschichtenwettbewerb - 21. Februar 2012 ID 00000005776
HOTSQUAT CALENDAR 2012
HERAUSGEBERIN / EDITEUR: HotSquat Collectif / Wydenauweg 40 / 2503 BielBienne / http://www.hotsquat.ch / calendar@hotsquat.ch / PC 12-172563-8
ALLE FOTOGRAFIEN BY: by Antal Thoma / http://www.antalthoma.ch
CONCEPT ET REGIE: HotSquat Collectif et les lieux accueillants / und die Gastorte
GRAPHIK: Johan Katz / http://www.mkkm.name
EDITION: 1500 ex.
PRIX: 30.-
http://www.hotsquat.ch
Die Leute vom HOTSQUAT CALENDAR 2012 machten je 1 Exemplar ihres Kalenders den Autoren der 12 besten aller eingereichten Wettbewerbsbeiträge zum Geschenk.
KULTURA-EXTRA bedankt sich für das Sponsoring!
Weitere Infos siehe auch: http://www.kultura-extra.de/literatur/literatur/weltuntergang.php
Zur Auswertung des Kurzgeschichtenwettbewerbs
Zur Anthologie:
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