FESTIVAL OUDE MUZIEK UTRECHT | 23. 8. - 1. 9. 2024
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Thema:
Sevilla
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"Sevilla" ist die große Klammer, die das diesjährige FESTIVAL OUDE MUZIEK UTRECHT - eines der renommiertesten Feste für Alte Musik weltweit - konzeptionell und thematisch zusammenhält:
"Mit der Musik von Morales, Guerrero und Peñalosa als unserem Kernrepertoire schaffen wir eine seltene Gelegenheit, einen wesentlichen Teil der spanischen Polyphonie zu hören. Mit den Artist in Residence Música Temprana des niederländisch-argentinischen Adrián Rodríguez van der Spoel tauchen wir ein in den südamerikanisch gemischten Barock, in dem Volksmusik und die Musik der Eroberer oft zusammenkommen müssen. Der Nahostwissenschaftler Koert Debeuf argumentiert, dass die Renaissance, die wir als Höhepunkt der westlichen Kultur betrachten, tatsächlich in Bagdad ihren Ursprung hatte und über Al-Andalus den europäischen Kontinent eroberte." (Quelle: oudemuziek.nl.)
In den vergangenen Jahren schrieben sich die Festivalmacher solche Themen wie z.B. "Das burgundische Leben" (2018), "Neapel, die vergessene Hauptstadt der Musik" (2019), "Galanterie" (2022) oder "Wiederbelebung" (2023) auf ihre Themenseiten - diesmal war und ist es also "Sevilla" [s.o.]
Weit über 200 Konzerte waren und sind (noch bis zum 1. September) an 37 Aufführungsorten zu erleben.
Sonntag und Montag weilte ich vor Ort, um bei sechs unterschiedlich großen Festival-Programmen ("groß", von der Besetzung her) dabei zu sein, nachstehend meine Kurzeindrücke...
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Diesjährige Artists in Residence sind also die Musikerinnen und Musiker der vor 23 Jahren vom argentinisch-holländischen Dirigenten Adrian Rodriguez Van der Spoel gegründeten Formation Música Temprana, welche auf lateinamerikanisches Barock spezialisiert sind. Ihr Repertoire holen sie sich v.a. aus den Archiven, Kathedralen und Jesuitenmissionen Lateinamerikas, wo ihr künstlerischer Leiter regelmäßig nach vergessenen Kompositionen forscht. Gleich drei Konzerte standen mit ihnen auf dem Programm - ich wählte ihren thematischen Abend "Guerreros Reise nach Jerusalem":
"Bevor er 60 Jahre alt war, wollte Francisco Guerrero zwei Träume wahr werden lassen: seine Canciones Espirituales zu veröffentlichen und das Heilige Land zu besuchen. Und es funktionierte. Für sein Reiseabenteuer benötigte er fast fünf Monate, und sie wurden von Guerrero in The Journey to Jerusalem beschrieben: ein Reisebuch mit einer Fülle von Informationen über das Leben und Werk dieses Renaissance-Vertreters. Musica Temprana illustriert die Chronik mit Polyphonie des Meisters, verflochten mit Improvisationen auf der Oud." (Quelle. dto.)
Demzufolge wurde in der Domkirche reichlich (vielleicht ein bisschen zu reichlich) aus besagtem Buch rezitiert und darüber hinaus (gottlob!) noch reichlicher gesungen und musiziert. Besondere Aufmerksamkeit zog der Gitarrist Niza Rohana, der mit seiner Oud zwischen den himmlischen Gesängen jede Menge "Spanisches" improvisierte, auf sich.
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Música Temprana beim 2023er Festival Oude Muziek Utrecht | Foto (C) Foppe Schut
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Bewertung:
Im Tivoli Vredenburg, dem von den beiden Architekten Joe Conen und Herman Hertzberger von 2005 bis 2014 entworfenen monumentalen Veranstaltungskomplex in unmittelbarer Nähe zum Utrechter Hauptbahnhof mit anstoßender (ebenso gigantischer) Einkaufszone, finden die meisten Konzerte des Festivals statt. Der Gebäudekomplex besteht aus fünf unterschiedlich großen Konzertsälen - im Großen Saal vollführten der Choeur the chambre de Namur und die ihn begleitende Capella Mediterranae ein wahres Feuerwerk mit "iberisch klingendem" Barock.
"Sing, schreit, tanzt! Die Musik, die der Cembalist und Dirigent Leonardo Garcia Alarcon zu diesem Konzert nach Utrecht führt, ist voller Leben. Wir folgen iberischen Komponisten wie Juan de Araujo und Tomas de Torrejan y Velasco auf ihrer Reise nach Peru und Argentinien. Wir werden auch Komponisten kennenlernen, die in der Neue Welt geboren wurden, wie den Mexikaner Gaspar Fernandez. Inspiriert von den Klängen Lateinamerikas schufen sie eine einzigartige Mischung aus spanischer und portugiesischer Polyphonie und lokalen Volkstraditionen. Das Ergebnis: heilige Musik, die fröhlich, tiefgreifend und beeindruckend zugleich ist." (Quelle: dto.)
Da ging vielleicht die Post ab!!
Bewertung:
Am darauffolgenden Vormittag faszinierten die beiden Barockgeigerinnen Daria Spiridonova & Elise Dupont mit ihrem exklusiv für dieses Festival zusammengestellten Programm im sog. Hertz-Saal des Tivoli:
Sie brachten "ihre beeindruckendsten Raubkünste für diesen spanischen, sephardischen, katalanischen und portugiesischen Cocktail zum Vorschein: eine funkelnde Mischung aus Volksmusik und Instrumentalkompositionen von Domenico Scarlatti, Francisco Tárrega, Antonio Soler und José Herrando. Spiridonova traf die Vorkehrungen für dieses außergewöhnliche Duo-Rezital." (Quelle: dto.)
Ihr Spiel brillierte nicht nur durch ihre musikantische Virtuosität, sondern auch v.a. durch ihre gestalterische Inbrunst, derentwegen ihre Hörerschaft beinahe den Atem anzuhalten schien.
Bewertung:
Der holländische Cembalist Pieter-Jan Belder gilt als eine Art Institution auf seinem Gebiet. Um die Mittagszeit setzte er sich in der kleinen Lutherkirche an ein "brandneues" Instrument, wie er so zwischendurch, als er kurz sein Programm professoral erklärte, meinte, und spulte es der Reihe nach ab:
"Mit den populären Einflüssen, die Domenico Scarlatti während seines Aufenthalts in Sevilla aufnahm, gab er der iberischen Klaviermusik eine entscheidende Wendung. [...] Am portugiesischen Hof hatte er Carlos Seixas unterrichtet, einen jungen Cembalisten, der mit Volksmusik experimentierte. Antonio Soler ließ seine Komponisten von Scarlatti leiten." (Quelle: dto.)
Seine Ausstrahlung (insbesondere auf mich) war irgendwie gewöhnungsbedürftig. Er saß da wie'n Klotz und verzog beim Spiel kaum eine Miene - also mich (mich ganz persönlich) erreichte er emotional mitnichten. Was seiner spielerischen Gekonntheit selbstverständlich keinen Abbruch tat bzw. tun sollte.
Bewertung:
Ganz und gar publikumswirksam gaben sich die vier Musiker vom Kölner Le Quatuor Romantique - abseits der bei diesem Festival an sich gesetzten Alten, Renaissance- oder Barockmusik trumpften sie ihrerseits dann mit "romantischen" Bearbeitungen anderweitiger Sevilla- oder spanienaffiner Werke auf, was ihren Zuschauern und Zuhörern sehr gut gefiel.
"Neben einer historischen Kunstbastion ist Sevilla auch die ultimative Idee für diejenigen, die über das feurige, sinnliche Spanien nachdenken. Kein Wunder, dass die Stadt einst der Höhepunkt der Exotik in den Salons von Paris, Brüssel und Berlin war. Le Quatuor Romantique - mit Geige, Cello, Klavier und Harmonium - fand Folklore in Czibulkas Belle Fille de Sevilla, Sinnlichkeit in Balfes La Zingara und religiöse Polemik in Gounods Le Tribut de Zamora. (Quelle: dto.)
Empfundnermaßen handelte es sich um leichte Kost - man hörte/ sah dann allerdings, wie "schwer" so scheinbar Leichtes musizierbar war und ist. Die Vier entpuppten sich als wahre Meister ihres Fachs.
Bewertung:
"Wenn Sonnenlicht den tanzenden Kerzenflammen Platz macht, ist es Zeit für die Vesper – die Abendtöne des Gezeitengebets, das seit Jahrhunderten in Kirchen erklingt. Indem sie die Dunkelheit ausstößt, betont die Vesper die Symbolik des Lux Christi, das die ewige Hoffnung auf Erlösung versinnbildlicht." (Quelle: dto.)
Die grandiosen 13 Sängerinnen und Sänger der einst von Marco Mencoboni gegründeten Vokalvereinigung Cantar Lontano [alle Namen s.u.] überwältigten - zum Abschluss meiner kurzen Utrecht-Festivaltour am vergangenen Montagabend - nicht nur mich, sondern gefühltermaßen den gesamten Rest des anwesenden Publikums im Grote Zaal des Tivoli, als sie sowohl auf dem Konzertpodium wie später im gesamten Saal verteilt ihr geradezu himmlisches Programm mit Werken von Cristobal de Morales, Diego Ortiz, Tomas Luis de Victoria und Francisco Guerrero präsentierten, zwischendurch gab es diverse Antiphone im gregorianischen Stil. Instrumental wurde ihr Gesang verschiedentlich mit vier Posaunen (Fabio De Cataldo, Susanna Defendi, Valerio Mazzucconi, David Joseph Yacus), einem Kornett (Andrea Inghisciano), einem Kontrabass (Daniele Rosi), einer Viola da Gamba (Mauro Colantonio) und einer Laute (Giovanni Bellini) ergänzt und untermauert.
Es klang atemberaubend schön.
Bewertung:
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Cantar Lontano nach einem früheren Auftritt beim FESTIVAL OUDE MUZIEK in Utrecht | Foto (C) Marieke Wijntjes
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Andre Sokolowski - 28. August 2024 ID 14888
MÚSICA TEMPRANA (Domkirche, 25.08.2024)
Francisco Guerrero (1528-1599): "Urbs beata Ierusalem"
Cristobal de Morales (1500-1553): "Vigital et orate"
Guerrero: "Quis vestrum / Pater noster"
- "Veni Domine et noli tardare"
- "O Virgen cuando os miro"
- "Prado ameno, gra?ioso"
Morales: Lamentación
Guerrero: "Ego flos campi"
Nizar Rohana, Oud
Olalla Alemen, Sopran
Victoria Cassano und Luciana Cueto, Alt
Johann von Elsacker und Emilio Aguilar, Tenor
Pablo Acosta, Bass
Núria Sanromà Gabàs, Kornett
Matthijs van der Molen und Simen van Mechelen, Posaune
Francois de Rudder, Viola da Gamba
Manuel Vilas Rodriguez, Harfe
Jorge López-Escribano, Orgel
Música Temorana
Leitung und Tenor: Adrian Rodriguez Van der Spoel
CAPELLA MEDITERRANEA & CHOEUR DE CHAMBRE DE NAMUR (Tivoli Vredenburg/Großer Saal, 25.08.2024)
Anonym: Hanacpachap
Tomás Luis de Victoria (1545-1611): Salve regina
Gaspar Fernandes (ca. 1570-1629): A Belén me llego tío
Tomás de Torrejón y Velasco (ca. 1644-1728): Desvelado dueño mio
Francisco Valls (1665-1747): Esta vez, Cupidillo
Juan de Araujo (1646-1712): Vaya de gira
Fransisco Correa de Arauxoca (ca. 1584-1654): Canto Llano de la Inmaculada concepción
- Magnificat
Mateo Romero (ca. 1575-1647): Romerico florido
Matheo Flecha (1481?-1553?): La Bomba
Araujo: Salve Regina
Torrejón y Velasco: A éste Sol peregrino
Diego José de Salazar (ca. 1660-1709): Salga el torillo hosquillo
Mariana Flores, Sopran
Leandro Marziotte, Countertenor
Valerio Contaldo, Tenor
Matteo Bellotto, Bass
Choeur de Chambre de Namur
Cappella Mediterranea
Leitung am Cembalo: Leonardo Garcia Alarcon
DARIA SPIRIDONOVA & ELISE DUPONT (Tivoli Vredenburg/Hertz, 26.08.2024)
Anonym: La mare de Déu, traditionell katalanisch
Francisco Tárrega (1852-1909): Recuerdos de la Alhambra
Antonio Soler (1729-1783): Sonate Nr. 21 in cis-Moll
Jean-Philippe Rameau (1683-1764): Les Trois Mains
Domenico Scarlatti (1685-1757): Sonate in d-Moll, K.18
Joseph de Herrando (1720/21-1763): Duett für 2 Violinen Nr. 2 in G-Dur
- Adagio
Scarlatti: Sonate in d-Moll, K.141
Pedro Lopes Nogueira (18. Jh.): "Filhota" aus Nogueira Manuscript
Scarlatti: Sonate in b-Moll, K.87
Anonym: 5 Lieder, traditionell sefardisch
Scarlatti: Sonate in cis-Moll, K.247
Anonym: Nana, traditionell sefardisch
Soler: Sonate Nr. 88 in Des-Dur
Daria Spiridonova & Elise Dupont, Violinen
PIETER-JAN BELDER (Lutherse Kerk, 26.08.2024)
Carlos de Seixas (1704-1742): Allegro aus der Sonate Nr. 27 in d-moll
- Allegro aus der Sonate Nr. 16 in c-moll
Domenico Scarlatti (1685-1757): Presto aus der Sonate in a-Moll, K.3
- Andante e cantabile aus der Sonate in Es-dur, K.474
- Allegrissimo aus der Sonate in Es-Dur, K.475
Antonio Soler (1729-1783): Allegretto aus der Sonate in fis-Moll, R.85
- Allegro aus der Sonate in Fis-dur, R.90
- Andante aus der Sonate in d-Moll, R.117
- Allegro aus der Sonate in D-dur, R.84
- Andantino aus der Sonate in a-Moll, R.182
- Allegro aus der Sonate in a-Moll, R.183
Fandango
Pieter-Jan Belder, Cembalo
LE QUATUOR ROMANTIQUE (Tivoli Vredenburg/Cloud Nine, 26.08.2024)
Émile Waldteufel (1837-1915): España, Walzer
Charles Gounod (1818-1893): Le Tribut de Zamora, Grande fantaisie
Moritz Moszkowski (1854-1925): Spanische Tänze op. 12
Camillo Morena (1867-1940): La Tortajada, Valse espagnole op. 10
Adolphe Adam (1803-1856): Le toréador, Fantasie
Samuel Sando Dicker (1894-1935): Félicidades, Serenata espagnola op. 209
Pascual Marquina (1873-1948): Espana Cani, Paso Doble
Alphons Czibulka (1842-1894): Gavotte aus Belle Fille de Seville
Emmanuel Chabrier (1841-1894): Espana, Fantasie D44
Le Quatour Romantique:
Vassili Voronin, Violine
Edward John Semon, Violoncello
Pascal Schweren, Klavier
Joachim Diessner, Harmonium
CANTAR LONTANO (Tivoli Vredenburg/Grote Zaal, 26.08.2024)
Gregoriaans: Deus in audiutorium, Antifoon "Ave Maria o brano di organo?"
Tomás Luis de Victoria (1548-1611): Dixit Dominus a 8
Diego Ortiz (ca. 1510-ca. 1570): Salve Regina a 4
Gregoriaans: Antifoon "In Odorem"
de Victoria: Confitebor tibi domine
Cristóbal de Morales (1500-1553): Sancta et Immaculata
Gregoriaans: Antifoon "Cum esse parvula"
de Victoria: Laetatus sum a 12
Ortiz: Regina Coeli a 4
Gregoriaans: Antifoon "Speciosa facta es"
Francisco Guerrero (1528-1599): Lauda Jerusalem
Ortiz: Sancta et immaculata
Gregoriaans: Antifoon "Beata Mater"
Ortiz: Laudate Dominum
de Morales: Benedicta tu a 4
Guerrero: Ave Maris Stella a 4 alternatim Gregoriaans: Antifoon "Beatam me dicent"
de Morales: Magnificat
Gregoriaans: Beatam me dicent
Ortiz: Alma Redemptoris Mater a 6
Sonia Tedla und Maria Dalia Albertini (Sopran)
Cristina D'Alessandro (Mezzosopran)
Marta Fumagalli, Alessandro Carmignani (!!!) und Elena Biscuola (Alt)
Riccardo Pisani, Andres Montilla, Massimo Altieri und Carlos Negrin (Tenor)
Davide Benetti, Gabriele Lombardi und Marco Scavazza (Bass)
Andrea Inghisciano (Cornett)
Fabio De Cataldo, Susanna Defendi, Valerio Mazzucconi und David Joseph Yacus (Posaunen)
Giovanni Bellini (Laute)
Mauro Colantonio (Viola da gamba)
Daniele Rosi (Kontrabass)
Nicola Lamon (Orgel)
Dirigent: Marco Mencoboni
Weitere Infos siehe auch: https://oudemuziek.nl/
https://www.andre-sokolowski.de
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