LUDWIGSBURG FESTIVAL 2023
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Hofkonzert bei
König Wüstenrot
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Bewertung:
Ein Abend voller Vivaldi, aber, uff, ohne die Jahreszeiten im adäquaten Barocktheater des Ludwigsburger Schlosses, in dem Anfang der kommenden Woche Emmanuel Macron und Frank-Walter Steinmeier einander jubiläumsbedingt die Hände schütteln werden. Für zuverlässige Qualität sorgt die Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung ihres Konzertmeisters Georg Kallweit, im Zentrum aber steht der italienische Countertenor Filippo Mineccia, der für den erkrankten Carlo Vistoli, auf den das Programm abgestimmt war, eingesprungen und so berühmt ist, dass ihn die Festspiele zunächst als Menaccio präsentiert haben. Die PR verspricht: „Er gilt als einer der wichtigsten Spezialisten für Altrollen der großen Kastratenzeit.“ Das gilt wohl auch für Carlo Vistoli. Irgendwie hatten wir nicht erwartet, dass ein Künstler angekündigt wird mit den Worten: „Er gilt als eher mittelmäßiger Interpret von Altrollen der großen Kastratenzeit.“ Warum stellt man nicht dem Gesamtprogramm die Beteuerung voraus: „Bei uns treten ausschließlich wichtigste Spezialisten auf“? Gibt es überhaupt unwichtige Spezialisten? Wo sind sie abgeblieben? Beim Cannstatter Volksfest? Oder als Ausbilder der wichtigsten Spezialisten? Ich weiß, ich habe diese Art von megalomanischer Phrasendrescherei eben erst, im Zusammenhang mit Gauthier Dance, beklagt, und ich weiß, dass meine Lamentos nichts bewirken werden, aber die zunehmende PR-Manipulation nervt mich ungeheuer, und da muss ich einfach Luft ablassen.
Doch damit nicht genug. Zu den Sponsoren der Ludwigsburger Schlossfestspiele gehört der Platzhirsch Wüstenrot, der den Ort eigentlich verärgert hat, weil er seine Gewerbesteuer ins benachbarte Kornwestheim verlagert hat. Wüstenrots Mitarbeiter – aus welcher Etage, blieb mir verborgen – besetzten den Großteil des kleinen Theaters. Ich wurde unters Dach, auf die dritte Galerie des nicht klimatisierten Saals, auf die Eselsbank ohne Rückenlehne und mit so gut wie keiner Sicht auf die Bühne verbannt. Erst unter Aufwendung aller mir zur Verfügung stehenden Unfreundlichkeit konnte ich von der Pressedame mit Kontingent für ausgewählte Kumpel eine Karte im Parkett ergattern. Meine Frau musste nach Hause gehen. Nun werden die Festspiele nicht nur von Sponsoren finanziert, sondern auch von der öffentlichen Hand, also mit Steuern von Normalbürgern (Journalisten inklusive). Die Behörden sollten sich einmal überlegen, ob es wirklich ihre Intention ist, unter dem Vorwand der Kulturförderung eine Bausparkasse zu subventionieren.
Verlassen wir das Gebiet der Agitation und Propaganda sowie der selektiven Zuteilung von Pressekarten, deren Prinzipien sich ein Robert Habeck nicht leisten könnte, und begeben wir uns zurück zur Musik. Die bedarf keiner Vorweganpreisung aus dem Repertoire des Kulturmanagements, das sich selbst noch wichtiger nimmt als die Künstler, die es propagiert, und entsprechend an Stelle derer, ohne die das Management nichts zu managen hätte, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wird.
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Die Sakralmusik, von der Programmbuch und Homepage sprechen, machte nur einen Teil des Abends aus. Auf das Concerto g-Moll, RV 157 folgte die Sinfonia h-Moll Al Santo Sepolcro, RV 169. Sodann erklang der Psalm 126 Nisi Dominus g-Moll, RV 608. Nach dem auch als Concerto grosso bekannten kurzen Concerto à Quattro g-Moll, op. 8/6 von Vivaldis zwanzig Jahre älterem Zeitgenossen Giuseppe Torelli aus dem Jahr 1709 war als Höhepunkt des Abends das Concerto für zwei Violinen, Violoncello, Streicher und Basso continuo d-Moll, RV 565 zu hören, das Johann Sebastian Bach für die Orgel transkribiert hat. Beide Versionen gehören zu den populärsten Stücken der zwei Giganten des Barock. Den Abschluss bildete das Stabat Mater, RV 621 von 1712. Die Akademie für Alte Musik bewies einmal mehr, dass sie eins der besten Kammerorchester nicht nur Deutschlands ist. Sie hätte mühelos fünf Ks verdient. Der wichtigsten Spezialisten Einer aber bemühte sich zwar unter eindrucksvollem körperlichen Einsatz redlich, hatte jedoch en passant erhebliche Intonationsschwierigkeiten. Was Countertenöre angeht, sind wir ja mittlerweile verwöhnt. Wenn Philippe Jaroussky oder Valer Sabadus den Maßstab zur Verfügung stellen, kann Mineccia allenfalls als durchschnittlich passieren.
Ich hätte doch lieber ins Theaterhaus zu Clearwater Creedence Revival gehen sollen. Dort gab’s vermutlich auch ein Pausenbuffet oder wenigstens ein Mineralwasser, das nicht einer geschlossenen Gesellschaft vorbehalten blieb. Am 29.6. war halt Wüstenrottag. Und die Musi spielt dazu.
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Akademie für Alte Musik Berlin | Foto (C) Uwe Arens
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Thomas Rothschild – 1. Juli 2023 ID 14273
Vistoli, Vivaldi - Virtuosität (Schlosstheater Residenzschloss Ludwigsburg, 29.06.2023)
Antonio Vivaldi: Concerto g-Moll, RV 157
- Sinfonia Santo Sepolcro h-Moll, RV 169
- Psalm 126 Nisi Dominus g-Moll, RV 608
- Concerto für zwei Violinen und Violoncello d-Moll, RV 565
- Stabat Mater, RV 621
Giuseppe Torelli: Concerto a Quattro g-Moll, op. 8/6
Filippo Mineccia, Countertenor
Georg Kallweit, Konzertmeister
Akademie für Alte Musik Berlin
Weitere Infos siehe auch: https://schlossfestspiele.de
Post an Dr. Thomas Rothschild
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