LUDWIGSBURG FESTIVAL 2023
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Ligeti
a cappella
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Bewertung:
Drei Tage vor dem 100. Geburtstag des vor 17 Jahren verstorbenen Komponisten György Ligeti (1923-2006) widmete ihm das SWR Vokalensemble unter der Leitung seines Chefdirigenten Yuval Weinberg ein Konzert in der Ludwigsburger Friedenskirche. Hier, in dieser ehemaligen Garnisonskirche vom Anfang des 20. Jahrhunderts, fanden viele Konzerte der Ludwigsburger Schlossfestspiele statt, ehe das neuerbaute Forum am Schlosspark ein vermeintlich geeigneteres Ambiente anbot. Die Platzzahl unterscheidet sich in den beiden nahe beieinander liegenden Bauwerken kaum, und auch die Akustik der Kirche kann erstaunlicherweise mit der des Forums mithalten.
Das kurze Chorstück Lux Aeterna kehrt fast an den Ort seiner Geburt zurück. Es wurde 1966 im Auftrag der Schola Cantorum Stuttgart komponiert und unter der Leitung des erst kürzlich im hohen Alter verstorbenen Clytus Gottwald uraufgeführt. Lux Aeterna dauert nur neun Minuten und ist ein bis heute faszinierendes Exempel für jene Technik, die György Ligeti zur Vollkommenheit entwickelt hat: die Verwendung von Clustern, also von eng beieinander liegenden Tönen, mit dem Effekt, dass der erzeugte Klang zu vibrieren scheint, zu schweben und zu changieren. Nicht ganz so radikal setzt Ligeti dieses Verfahren auch in seinen Phantasien zu Gedichten von Hölderlin ein, mit denen das Konzert (vor einer Zugabe) endete. Dabei benützt er nur Fragmente der Dichtung, die man zudem akustisch nicht versteht. Ligeti vertont also nicht die Texte, sondern benützt einzelne Verse als Material für den a cappela-Gesang.
Die Texte der vorausgegangenen Stücke stammen von ungarischen Lyrikern des 16., 19. und 20. Jahrhunderts und sind schon deshalb für Deutsche nicht zu verstehen, weil sie im ungarischen Original gesungen werden – eine heroische Leistung, für die man den Chor nur bewundern kann. Ungarisch ist nicht nur die Sprache, sondern unüberhörbar auch die Musik dieser Lieder. Sie stehen unverkennbar in der Tradition von Béla Bartók und bedienen sich wie er der Pentatonik und der folkloristischen Inspiration.
Zwischen den Stücken von Ligeti wurde eine ebenfalls mit Gedichtfragmenten operierende Komposition des 47jährigen aus Ungarn stammenden und anwesenden Márton Illés uraufgeführt. Er entfernt sich weiter als Ligeti von der Tonalität, arbeitet mit hörbarem Ausatmen, unbestimmten Tonhöhen, Geräuschen, mit dem Titel eines Films von Ingmar Bergman: mit Schreien und Flüstern.
Das Vokalensemble, an dem es nichts zu bemängeln gibt, trägt keine Einheitskleidung, sondern wurde offenbar angehalten, sich auf die Farben weiß und schwarz zu beschränken. Offenbar hat das die Phantasie der Damen und Herren beflügelt. Sie haben sich allerlei einfallen lassen.
Liegt es daran, dass Chormusik ohne Instrumentalbegleitung nicht mehrheitsfähig ist? Liegt es an der Reserviertheit gegenüber zeitgenössischer Musik? Liegt es daran, dass das Konzert mit fast gleichem Programm in einer Woche beim Musikfest Stuttgart wiederholt wird? Was auch die Ursache sein mag: die Kirchenbänke waren erschüttern schütter besetzt. Schade. So bald gibt es keinen weiteren runden Geburtstag von Ligeti. Bei Beethoven oder Schubert braucht man solch einen Vorwand nicht. Aber bis Ligeti deren Status im Konzertbetrieb hat, müssen wir wohl noch eine Weile warten. Dabei hätte gerade dieses Konzert darüber belehrt, dass „moderne“ Musik keineswegs „schwierig“, schwer zu verstehen sein muss. Sowohl die Kompositionen von Ligeti wie auch jene von Illés sind nicht nur unmittelbar zugänglich, sondern punktuell sogar witzig. Und der Chor bestätigt die Auffassung, dass es zu den Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gehört, Klangkörper wie diesen zu bewahren. Sie fallen bei der Eurovision nicht durch. Sie treten dort gar nicht erst an. Bravo!
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SWR Vokalensemble | Foto (C) Klaus Mellenthin
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Thomas Rothschild – 26. Mai 2023 ID 14217
György Ligeti zum 100. Geburtstag (Friedenskirche Ludwigsburg, 25.05.2023)
György Ligeti: Lux aeterna
- Drei Fantasien nach Friedrich Hölderlin
- Frühe Chorwerke in ungarischer Sprache, u.a.
Márton Illés: Chorrajzok nach Gedichtfragmenten von Árpád Tóth für 24 Stimmen (UA)
SWR Vokalensemble
Dirigent: Yuval Weinberg
Weitere Infos siehe auch: https://schlossfestspiele.de
Post an Dr. Thomas Rothschild
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