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Konzertkritik

Orchestra dell´Accademia Nazionale di Santa Cecilia & London Voices

Daniel Harding

Magdalena Kožená (Mezzosopran)


Bewertung:    



Luciano Berio hätte es gefallen: ein Saal, der nicht von der Masse lebt, sondern von der Intensität des Moments. Nur rund ein Drittel der Plätze war besetzt, und doch war die Spannung greifbar. Die Sinfonia, 1968 im Zeichen der Revolten geschrieben, entfaltete auch an diesem Abend ihre Wucht. Die acht Solisten der London Voices agierten nicht als klassisches Vokalensemble, sondern als Erweiterung des Orchesters – mit Lauten, Silben, Sprachfragmenten und Gesangslinien. Zwei Orgeln, Keyboards, Flügel und eine mächtige Schlagzeuggruppe erweiterten das Spektrum. Harding ließ diesen Stimmenstrom nie ausufern, sondern hielt ihn zusammen wie ein Kapitän, der ein vielstimmiges Schiff durch wechselnde Strömungen steuert. Im dritten Satz, Berios berühmtem Zitat-Mosaik über Mahlers Scherzo aus dessen Zweiter Sinfonie, spürte man die Sogkraft der „Musik über Musik“. Stimmen und Instrumente traten in einen Dialog, der nicht nur die Tradition befragte, sondern auch die Zeitläufte von 1968 mit hineinnahm: Martin Luther King, die Studentenproteste, James Joyce. Am Ende dieses Klangpanoramas – ein erregtes, rauschendes Stimmengewirr – schien der Saal den Atem anzuhalten. Helmut Lachenmann und Sir Simon Rattle, prominente Gäste des Abends, hielt es nicht auf ihren Sitzen.

Nach so viel Explosion und Experiment boten die Folk Songs fast ein Innehalten. Magdalena Kožená präsentierte die Miniaturen mit jener Mischung aus kultivierter Stimmtechnik und folkloristischer Erdung, die Berios Bearbeitungen erst lebendig macht. Ob Appalachen-Ballade, sizilianische Ironie oder armenische Klagemelodie: Kožená sang mit Wärme, ohne jede stilistische Manier. Harding und das Orchester zeichneten die Instrumentalfarben so fein aus, dass jedes Lied seinen eigenen Mikrokosmos erhielt. Hier wurde Berios Credo spürbar, zwischen Vergangenheit und Gegenwart Brücken zu schlagen – Volkslied und Avantgarde im Dialog.

Claude Debussys La Mer schließlich ließ den Abend in einer anderen Dimension ausklingen. Nach der eruptiven Modernität Berios schien Debussys impressionistische Klangmalerei zunächst fast vertraut, fast konventionell. Doch Daniel Harding, der das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia bereits in den Berio-Werken mit kluger Übersicht geführt hatte, zeigte hier seine ganze gestalterische Kraft. In den wellenförmigen Bewegungen der Streicher, im Aufglimmen der Bläserfarben und in den subtilen rhythmischen Schichtungen entstand ein Klangbild, das mehr war als Seestück: Meditation und Dramatik zugleich. Die „Jeux de vagues“ atmeten Leichtigkeit, das Finale mündete in eine mitreißende Entladung.

*

Fazit: Ein Abend, der zeigte, wie Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen können. Berios Sinfonia – noch immer unerhört frisch, noch immer ein Aufruf zur Offenheit – spannte den Bogen bis hin zu den Wurzeln der Musik in den Folk Songs. Debussys La Mer schließlich brachte die Rückkehr zur Romantik in farbiger Überhöhung. Daniel Harding bewies schon in den ersten Wochen seiner Amtszeit bei der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, dass er Klangarchitekt und Klangpoet zugleich ist. Das Publikum dankte es mit Jubel und ließ sein Orchester nicht ohne Zugabe ziehen.



Magdalena Kožená und das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia (Dirigent: Daniel Harding) - beim MUSIKFEST BERLIN 2025 | Foto (C) BF/Fabian Schellhorn

Steffen Kühn - 8. September 2025
ID 15449
MUSIKFEST BERLIN (Philharmonie Berlin, 07.09.2025)
Luciano Berio: Sinfonia für acht Singstimmen und Orchester in fünf Sätzen
- Folk Songs für Mezzosopran und Orchester
Claude Debussy: La Mer
Magdalena Kožená, Mezzosopran
London Voices
(Choreinstudierung: Ben Parry)
Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia
Dirigent: Daniel Harding


Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinerfestspiele.de/musikfest-berlin


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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