Traumata –
tragisch
und traumhaft
BLUTHAUS von Georg Friedrich Haas
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Bluthaus von Georg Friedrich Haas an der Bayerischen Staatsoper | Foto (C) Monika Rittershaus
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Bewertung:
Ja, Mai ist ein neues Festival der Bayerischen Staatsoper, das sich von nun an jedes Jahr im Mai zeitgenössischem und frühem Musiktheater widmen will. Mit Bluthaus gelang ein grandioser Auftakt. Das verstörende und zugleich faszinierend melodiöse Klanggebäude des Komponisten Georg Friedrich Haas aus dem Jahr 2010 wurde von einer kongenialen Text-Dichtung (Händl Klaus) und einer ebensolchen Regie (Claus Guth) ergänzt. Ein großartiges Gesamtkunstwerk!
Es geht um sexuellen Missbrauch. Nadja ist das Opfer ihres Vaters geworden. Sie will ihr großzügiges und idyllisch gelegenes Elternhaus auf dem Land in Niederösterreich verkaufen. Denn dort hat vor kurzem ihre Mutter den Vater erstochen und dann sich selbst umgebracht. Doch Nadja wird das Haus und ihre Vergangenheit nicht los. Die „lieben“ Nachbarn schrecken alle potenziellen Käufer ab, indem sie von der Tragödie erzählen. Nadja wird sogar angefeindet und der Mittäterschaft verdächtigt. Wieder ist sie Opfer von Gewalt. Die sich abzeichnende Liebesbeziehung Nadjas zu dem Makler Freund scheitert am Vatertrauma. Am Ende schließt sie sich in ihr Haus ein, wo sie dem Tod entgegengeht.
Dieses schrecklich-schöne Haus wird auf der kargen grauen Bühne (Etienne Pluss) mit Hilfe von transparent darüber laufenden schwarzweißen Filmsequenzen (Video: rocafilm) dargestellt, dazwischen bewegen sich graue Gestalten wie Geister: die Eltern, eine Erinnerung, bedrohlich und unheimlich. Immer wieder Bilder vom Keller (Josef Fritzl lasst grüßen). Dort lagern die liebevoll eingeweckten bunten Früchte aus dem Garten, Symbole von Sinnlichkeit und Leben, wie tot in ihren Gläsern. Dagegen tragen der Makler, die Bankerin und die Kaufinteressenten jede Menge Knallfarben (Kostüme: Petra Reinhardt). Jedes Paar, jede Gruppe eine andere, fein abgestimmt bis in die Haarspitzen, gnadenlos schrill.
Die erstaunliche Klangsprache von Haas arbeitet vor allem mit Mikrointervallen, Vierteltönen. Von Anfang an liegt der Schrecken in der atonalen, aber melodiösen Luft. Immer, wenn die Erinnerung an die Eltern aufkommt, erklingt ein Oberton-Akkord, wunderbar harmonisch und konsonant, eine Vorstellung von Geborgenheit vermittelnd. Doch gerade weil dieses Elternmotiv so schön klingt, wirkt es im Kontext der Tragödie umso furchtbarer. Schlichtweg genial die Einrahmung des Musik-Geschehens in zwei Monteverdi-Madrigale. Nadja betrauert, dass sich die Liebe für sie immer mit Schmerz mischen wird - so wie die Nymphe in Monteverdis „Lamento della ninfa“.
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Vera-Lotte Boecker als missbrauchte Tochter Nadja – eine zierliche, jugendliche Erscheinung – gestaltet ihre Schmerzkantilenen einfach überwältigend, dazu mit großer darstellerischer Kraft. Ein Opfer, dass vergeblich aus dem Kreislauf des Unglücks auszubrechen versucht, symbolisiert auch in der stickigen Luft des Innenraums: „Draußen weht es, da. Der Wind wäscht mir die Hände… An den Bäumen reißt er. Aber er will nicht herein. Es ist zu eng.“ Bo Skovhus als Vater ist ein musikalisch und schauspielerisch ebenbürtiger Partner wie auch Hagen Matzeit, ein Countertenor, der wohl toxischer Männlichkeit entgegenstehen soll. Ein weiterer Höhepunkt: der Auftritt der drei leider namenlosen Solisten des Tölzer Knabenchors als Kinder eines Kaufinteressenten.
Großer Beifall für das gesamte Ensemble und das schmal besetzte Bayerische Staatsorchester unter Titus Engel.
Ein ergreifender Abend!!!
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Bluthaus von Georg Friedrich Haas an der Bayerischen Staatsoper Foto (C) Monika Rittershaus
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Petra Herrmann - 29. Mai 2022 ID 13647
BLUTHAUS (Cuvilliés-Theater, 28.05.2022)
Komponist von Georg Friedrich Haas / Claudio Monteverdi. Text für Bluthaus von Händl Klaus (2011/2014) / Libretti von Ottavio Rinuccini
Musikalische Leitung: Titus Engel
Inszenierung/Choreographie: Claus Guth
Bühne: Etienne Pluss
Kostüme: Petra Reinhardt
Choreographische Mitarbeit: Ramses Sigl
Licht: Michael Bauer
Video: rocafilm
Dramaturgie: Yvonne Gebauer und Katja Leclerc
Besetzung:
Nadja Albrecht, Tochter ... Vera-Lotte Boecker
Natascha Albrecht, ihre Mutter ... Nicola Beller Carbone
Axel Freund, Makler ... Hagen Matzeit
Werner Albrecht, Vater ... Bo Skovhus
Meinhard, Jeremias und Lukas Maleta ... Solist(en) des Tölzer Knabenchors
Frau Reinisch von der Bank ... Michaela Steiger
Irene, in Ausbildung ... Irina Kurbanova
Frau Schwarzer, Nachbarin ... Michaela Steiger
Herr Schwarzer, Nachbar ... Silvester von Hößlin
Frau Beikirch ... Evelyne Gugolz
Herr Fuchs ... Bijan Zamani
Frau Hallosch ... Cathrin Störmer
Herr Hubacher ... Steffen Höld
Herr Maleta ... Thomas Reisinger
Frau Dr. Rahmani ... Evelyne Gugolz
Herr Dr. Rahmani ... Bijan Zamani
Frau Stachl ... Cathrin Störmer
Herr Stachl ... Christian Erdt
Herr Dr. Strickner ... Thomas Huber
Bayerisches Staatsorchester
Premiere an der Bayerischen Staatsoper war am 21. Mai 2022.
Weiterer Termin: 29.05.2022
Eine Produktion der Bayerischen Staatsoper und des Residenztheaters München in Koproduktion mit der Opéra Nationale de Lyon
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper.de/
Post an Petra Herrmann
petra-herrmann-kunst.de
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