Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 5

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Festival

Verstörend

schön

WOZZECK von Alban Berg


Bewertung:    



Graue Bühne, Soldaten im Streiflicht stehen stramm, ein Hund bellt. Wozzeck sitzt vorn auf einem Stuhl. Er wird gequält von der vibrierenden Hauptmannsstimme, sein Zeigefinger folgt der Musik und bohrt sich perkussiv in Wozzecks Körper. Simon Mcurney steigert diese Pein durch ein Double, einen Kindersoldaten, der genusshaft die Gesten des Hauptmanns wiederholt und nachäfft. Das Double spielt eine wichtige dramaturgische Rolle und wird am Ende der Oper wieder auftauchen.

Wozzecks verlorener Gesichtsausdruck wird in großen Bildern an die beängstigend geschlossenen Bühnenwände projiziert. Christian Gerhahers Bariton reagiert eingeschüchtert und doch klar und kraftvoll auf das Verhör seines Vorgesetzten.

Das Woyzeck-Stück von Georg Büchner, die Wozzeck-Oper von Manfred Gurlitt (1926) und etliche im Kanon der westlichen Kultur recht gut verankerte Verfilmungen der Vorlage von Büchner müssen nicht mehr im Detail erzählt werden. Regisseur Simon McBurney nutzt die Szenen der drei Akte von Alban Bergs Wozzeck für eine zeit- und ortsunabhängige Reflexion über soziale Ausgrenzung, Gewalt, Verzweiflung, Perversion und Mitgefühl. Mitgefühl für den Mörder Wozzeck, der sich nach der grausamen Tat selbst umbringt.

Verstörend ist der Plot, schön ist die Musik. Simon Rattle kehrt ans Pult des London Symphony Orchestra zurück und schafft faszinierende musikalische Momente. Nach dem Mord an Marie folgt ein Gänsehaut erzeugendes Orchestertutti, und spätestens hier ist klar: nun ist Schluss mit lustig. Wozzeck wird im Gasthaus mit Blut an den Händen als Mörder enttarnt. Wie man Musik gleichzeitig schauerlich und groovend schön spielen kann, würde ich Sir Simon gerne fragen. Rattle und Mcurney erreichen mit ihrer Inszenierung im Grand Théatre du Provence eine seltene Kongruenz zwischen Regie und Musik. Wozzecks Selbstmord: subtil versinkt Christian Gerhaher im Wasser. Der Bühnenboden ist in faszinierendes Licht getaucht, dazu schimmert die Musik. Im Hintergrund die tote Marie, sie und Wozzeck in gleißendem Spotlicht im ansonsten dunklen Bühnenlicht. Auch die Musik kontrastiert: zwischen Flächen und kammermusikalischen Aktionen. Maries und Wozzecks Sohn stolpert seitlich „übers“ Wasser an die Bühnenkante, geht schließlich verzweifelt in die Hocke. Trauer, Mitgefühl: Doch die Quälerei geht weiter. Er wird gehänselt von Gleichaltrigen, angeführt vom Double des Hauptmanns und wieder bohrt sich ein Finger perkussiv zur Musik in einen Menschen. Jetzt ist es nicht Wozzeck sondern sein Sohn. Soll das die Zukunft sein?

Eine dramaturgisch düstere Interpretation des Stoffes.Die Hoffnung auf Veränderung und auf eine bessere Zukunft liegt in der wunderbaren Musik, im Unbewussten, in unserer Gefühlswelt. Und genau hier kann Oper liefern. In der Kombination von Plot und Musik liegt die Kraft der Oper. Wer das überzeugend zeigen kann, hinterlässt wie heute im Grand Théatre du Provence ein begeistertes und jubelndes Publikum.



Wozzeck von Alban Berg beim Festival d’Aix-en-Provence | Foto (C) Monika Rittershaus

Steffen Kühn - 11. Juli 2023
ID 14286
WOZZECK (Grand Théatre de Provence, 10.07.2023)
Musikalische Leitung: Sir Simon Rattle
Regie: Simon McBurney
Bühne: Miriam Buether
Kostüme: Christina Cunningham
Licht: Paul Anderson
Video: Will Duke
Dramaturgie: Gerard McBurney
Besetzung:
Wozzeck ... Christian Gerhaher
Marie ... Malin Byström
Tambourmajor ... Thomas Blondelle
Doktor ... Brindley Sherratt
Hauptmann, Der Narr ... Peter Hoare
Andres ... Robert Lewis
Margret ... Héloïse Mas
1.Handwerksbursch ... Matthieu Toulouse
2.Handwerksbursch ... Tomasz Kumięga
Mariens Knabe ... Gabriele Cuggia
Ein Soldat ... Danila Frantou
Schauspieler und Schauspielerinnen: Aquira Amoy Bailey-Browne, Jorge Arbert, Karl William Fagerlund Brekke, Chihiro Kawasaki, Clive Mendus, Soufiane Naïm Guerraoui, Faith Prendergast, Vinicius Salles, Gabriella Schmidt und Afra Waldhor
Estonian Philharmonic Chamber Choir und Kinderchor
London Symphony Orchestra
Premiere beim Festival d’Aix-en-Provence: 7. Juli 2023
Weitere Termine: 13., 18., 21.07.2023


Weitere Infos siehe auch: https://festival-aix.com/fr


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

FESTIVAL D'AIX-EN-PROVENCE

Konzertkritiken

Musiktheater

Neue Musik



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:





MUSIK Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

CD / DVD

INTERVIEWS

KONZERTKRITIKEN

LEUTE

NEUE MUSIK

PREMIERENKRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

RUHRTRIENNALE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal




Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)