Virtuose Schwebungen
Das Modern Alphorn Quartet Honroh spielte in der alten Gießhalle von Bendorf-Sayn
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Bewertung:
Das Alphorn ist ein im Konzert eher selten zu erlebendes Instrument, nicht zuletzt wegen seiner Ausmaße, die an ein Möbelstück oder Wintersportgerät erinnern. Das Naturinstrument gehört untrennbar zur Schweiz, wie das Matterhorn. Das hölzerne Horn-Instrument mit der eindrücklichen Größe von etwa drei Metern wird mit der Alpenregion verknüpft und bietet ein ungewöhnliches Hörerlebnis. Das schweizerische Modern Alphorn Quartet Hornroh spielte nun jüngst in der Sayner Hütte, einer alten Gießhalle in Bendorf-Sayn. Schallgewaltige Tonfolgen wurden dabei versiert auch auf Bücheln, einer kürzeren trompetenartigen Variante des Alphorns, einem Hornviech, einem aus einem Rinderhorn gefertigten Blasintstrument, und Schneckenhörnern dargeboten. Bei letzteren handelt es sich um Naturtrompeten, gefertigt aus dem Schneckenhaus einer großen Meeresschnecke.
Das Ensemble Hornroh gründete sich 2000 anlässlich eines Engagements bei den Opernfestspielen in München aus vier Bläsern aus Basel. Das Quartett erweitert traditionelle Alphornmusik durch moderne Eigenkompositionen, Instrumentenentwicklungen und Inszenierungen im Raum. Am Konzertabend spielte Hornroh überwiegend Werke aus eigener Feder. Ausdrucksvolle Tonfolgen oder Phrasen erschienen oft intuitiv und frei modelliert, mal wurde es lauschig, mal rockig. Die Sounds forderten die Hörgewohnheiten heraus.
Gründungsmitglied Balthasar Streiff moderierte den Abend. Er erzählt, dass 99 Prozent aller Kompositionen für das Alphorn aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammten. Die Töne würden durch unterschiedliche Luftgeschwindigkeit und eine Reaktion der Lippen geändert. Sein Ensemble bestünde seit 22 Jahren in verschiedenen Besetzungen. Bei seinen Performances mischt es verschieden gestimmte Instrumente, was sozusagen ein Alleinstellungsmerkmal des Quartettes sei. Insbesondere bei den sprachakrobatisch-kuriosen Ausführungen zum Büchel, bei denen es viel um das „biegen“ und „beugen“ oder „umwickeln mit Birkenrinde“ ging, erntete Streiff Szenenapplaus.
Die Zuschauer lernten zwischen den Darbietungen viel über die ungewöhnlichen Instrumente. So liegt die Naturtonskala nicht auf der standardisierten, chromatischen Skala einer Klaviertatstatur. Währen der Arrangements hören wir gleichstufig temperierte und intonierte Tonfolgen. Das Repertoire der Alphörner bewegt sich meist zwischen dem zweiten und zwölften Naturton, geübte Bläser können jedoch auch bis zum 20. Naturton spielen. Besonders hohe Töne liegen nahe beieinander und erfordern eine sehr präzise Blastechnik.
Balthasar Streiff variierte das einleitende Buuchriiberli aus Appenzell für vier Alphörner in der Stimmung Ges. Alternierende Alphorn-Solos begleiteten dann seine Eigenkomposition Neuer Hund. Das Quartett spielte Chaconne des Münchner Komponisten Georg Haider. Jennifer Tauder-Ammann, die das Konzert durch gesanglich Beiträge bereicherte, sang das Volkslied „Dr Maien isch komme“, untermalt von drei Alphörnern. Michael Büttler steuerte mit Traumhorn und Lukas Briggen mit Bastians Reise eigene, polyrhythmisch-komplexe Kompositionen bei. Briggen ist eigentlich Jazz-Musiker und als jüngstes Mitglied des Ensembles erst sechs Jahre mit von der Partie.
Nach der Pause erklangen die Siebenthaler Kuhreihen, ein altes Lied der Kuhhirten aus dem Berner Simmental, bei dem zwei Alphörner von einem Alpofon begleitet werden. Hier werden Obertöne und eine Polyphonie besonders gut hörbar. Jennifer Tauder-Ammann begeistert das Publikum während der Stückperformance durch erhöht dargebotenen, stimmlichen Vortrag. Ein intensiver, farbiger Klang schimmert auch später durch bei den, von Balthasar Streiff selbst komponierten Stücken La Nouvelle; Büchelei Nr. 4; Wasabi und Lioba. Vier Alphörner respektive Büchel kommen hier zum Einsatz. Highlights des Konzertabends sind der rhythmisch anspruchsvolle Betrunkene Walzer, komponiert von Michael Büttler, und Anton Wickys Choral Heilig als traditionelles Alphornstück, anfangs dargeboten auf sehenswerten Schneckenhörnern, während die Künstler durch den Raum schritten.
Das Ensemble Hornroh musiziert teils konsequent in reinen Obertonreihen. Filigrane Klangmalereien und schwebende, zerbrechliche Töne, aber auch erstarkende, energiegeladene Archaik des Wechselspiels klangen lange nach. Insbesondere die Vielzahl der dargebotenen Instrumente – Alphörner, Büchel, Meerschnecken und Tierhörner – war bemerkenswert. Neben diversen Live-Programmen hat Hornroh bereits einen Film und vier CDs aufgenommen. Zuletzt erschien 2021 Eigenbräu, aus denen die vorgetragenen Kompositionen überwiegen entstammten. Alle vier Musiker unterrichten an diversen Basler Institutionen, wie Musikschulen und Musik-Akademien. Dem Bendorfer Publikum wurde die besondere Intonationswelt von Obertonakkorden wirkungsvoll nähergebracht.
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Modern Alphorn Quartet Hornroh mit Bücheln in der Sayner Hütte | Foto © Ansgar Skoda
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Ansgar Skoda - 26. Oktober 2024 ID 14983
Weitere Infos siehe auch: https://www.hornroh.ch
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