Fleischeslust
voller
Geistlosigkeiten
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Daniela Ziegler zeigt laszive in der Rolle der Frau Blücher in Frankenstein Junior an der Oper Bonn Dessous-Unterwäsche | Foto © Emma Szabó
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Bewertung:
Jüngst erschien das Album First two pages of Frankenstein der US-Amerikaner The National. Die fünfköpfige Band dokumentiert in ihrer im Frühjahr erschienen Platte mit leisen und melancholisch-schmachtenden Klängen eine dunkle Phase ihrer Bandgeschichte. Das sich der Frankenstein-Mythos auch laut, ausgelassen und mit schreiender Komik beleben lässt, wusste ein anderer US-Amerikaner schon 1974; Mel Brooks. Der Allround-Künstler und Entertainer, heute 97 Jahre alt, besorgte für seine erfolgreiche Filmparodie von Mary Shelleys Schauerroman-Klassiker das Buch (Co-Autor: Thomas Meehan), die Musik und die Gesangstexte. 2007 wurde Brooks Young Frankenstein dann als Musical am Broadway adaptiert und gelangte alsbald auch auf die internationalen Bühnen.
Am Theater Bonn zeigt nun Jens Kerbel das bunte Treiben auf dem Spukschloss mit seinem legendären Besitzer voller wohlig-wollüstiger Gruselmomente in deutscher Sprache. Wechselnde Bühnenbilder und fesselnde Choreographien, ein großes Ensemble und satter Orchesterklang täuschen über so manche flache Gags, anzügliche Zweideutigkeiten und platten Slapsticks hinweg. Es kommen eindrücklich Blitze, Donner und Wetterleuchten zum Einsatz. Das Ensemble tritt theatralisch mit Fackeln und brennenden Kerzen auf die Bühne. Schwarz-Weiß-Projektionen bebildern effektvoll Schauplätze (Video: Judith Selenko). Schmissig-schwungvolle Melodien gehen mit Jazz-Passagen, Step-Einlagen, lustigen Gesichtsausdrücken und Situationskomik einher.
Zum illustren Personal, das in die Unterwelt hinabfährt, zählen neben den verrückten Doktor Frankenstein (ein bisschen zu blass: Mathias Schlung) sein neu erschaffenes, tapsiges Monster (Ethan Freeman), seine extravagante, egozentrische und schrille Verlobte (Carina Sandhaus), seine attraktive, zärtliche und hingebungsvoll jodelnde Assistentin Inga (Kara Kemeny), der tolpatschige, vorlaute und bucklige Gehilfe Igor (Michael Heller), ein blinder, sich nach Gesellschaft sehnender Eremit (Hans-Jürgen Schatz) und nicht zuletzt eine eigenwillige und unheimliche transsylvanische Haushälterin, Frau Blücher (Daniela Ziegler), welche die Pferde zum wiehern bringt.
Das Monster gibt sich schließlich in der zweiten Hälfte des Abends zu Irving Berlins „Puttin’ on the Ritz“ ausdrucksstark den Reizen der Tanzkultur hin. Absurditäten, Albernheiten und Geschmacklosigkeiten reihen sich aneinander: Ein selbsterklärter „Dorftrottel“ mit passender Bowl Cut-Frisur verrät dem Inspektor, dass er von einer Schwulenbar träumt. Vielleicht eine Gemeinheit mit Lokalbezug; schon seit vielen Jahren gibt es in Bonn keine richtige Anlaufstelle mehr für die LGBT-Community. Dann ist sogar von einer heteronormativen Cis-Ratte die Rede, die nachts im Spukschloss über die Treppen schleicht. Als zotigen Reißer macht sich schlussendlich Frau Blücher die Verlobte des Titelhelden gefügig, indem sie ganz sachte deren Bein berührt.
Die packende Musik einer dreizehnköpfigen Band (Musikalische Leitung: Jürgen Grimm) übertönt mitunter den eingängigen Gesang. Gegen Ende feiern Standing Ovations insbesondere auch die sehenswerte Dynamik des vielköpfigen Tanzensembles.
Am Theaterausgang liegen dann Scherben am Boden. War das zerborstene Fenster etwa das Werk Frankensteins oder eines seiner Erben? Fragende Blicke der gehenden Besucher. Mit den Worten Brechts: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen// Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Doch Scherben bringen bekanntlich Glück; so bleibt insbesondere auf tiefsinnigere Produktionen der gerade anlaufenden Spielzeit zu hoffen.
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Die Schöne und das Biest: Ethan Freeman als The Monster und Carina Sandhaus als Elizabeth Benning in Frankenstein Junior an der Oper Bonn | Foto © Emma Szabó
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Ansgar Skoda - 23. August 2023 ID 14345
FRANKENSTEIN JUNIOR (Opernhaus Bonn, 20.08.2023)
Musikalische Leitung: Jürgen Grimm
Inszenierung: Jens Kerbel
Bühne: Momme Hinrichs
Kostüme: Verena Polkowski
Choreografie: Sabine Arthold
Licht: Max Karbe
Video: Judith Selenko
Soundddesign: Stephan Mauel
Besetzung:
Frederick Frankenstein ... Mathias Schlung
Elizabeth Benning ... Carina Sandhaus
Inga ... Kara Kemeny
The Monster ... Ethan Freeman
Frau Blücher ... Daniela Ziegler
Igor ... Michael Heller
Inspektor Kemp/ Der Eremit ... Hans-Jürgen Schatz
Victor Frankenstein ... Nico Hartwig
Ziggy ... Bernard Niemeyer
Ensemble: Katharina Theil, Kelly Panier, Anna-Julia Rogers, Niniane Everaert, Pascal Schürken, Johannes Pinkel, Noa Joanna Ryff, Nils Karsten, Achim Himmelbauer, Larissa Winkel und Liam Tiesteel
Premiere am Theater Bonn: 20. August 2023
Weitere Termine: 25., 27.08./ 16., 30.09./ 01., 07., 14., 19., 20.10./ 01., 11., 24.11./ 02., 07.,09., 15., 31.12.2023// 29.02./ 02., 09.03.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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