Glanzvoll bis
zum Untergang
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Cabaret am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto © Thomas Rabsch
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Bewertung:
Sündig, rauschhaft und frivol ist das wilde Treiben in den 1920er und Anfang der 1930er in der Metropole. Auch im Kit-Kat-Club Berlins prickelt es, bei Gin oder Absinth. Während obszöner Revue-Auftritte gleiten die Händen schon einmal über den Schritt der Nebenstehenden. Schrill, laut und grell geht es zu. Das Ensemble rund um den begrüßenden Conférencier glänzt im engen Lack und Leder und mit nackter Haut. Das wilde Leben deutet in dargebotenen Freizügigkeiten auch Homosexualität an.
Das 1966 in New York uraufgeführte Musical von Joe Masteroff, John Kander und Fred Ebb beruht auf den Berlin Stories (1945) vom britisch-amerikanischen Schriftsteller Christopher Isherwood (1904-1986). Dieser verkehrte seiner Zeit zusammen mit W.H. Auden in der Berliner Schwulenszene und engagierte sich später für die Lesben- und Schwulenbewegung. Die erfolgreiche Verfilmung Cabaret von 1972 mit Liza Minnelli in der Hauptrolle erhielt acht Oscars.
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Nun bebildert Regisseur André Kaczmarczyk, der im Wechsel mit Rob Pelzer selbst den schillernden Conférencier verkörpert, das Jazz-Age Berlins zwischen 1930 und 1933 an der Schwelle zu Hitlers Machtergreifung. Der junge, amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw (Belendjwa Peter) kommt neu nach Berlin. Er verkehrt im Kit-Kat-Club und beginnt eine Beziehung mit seiner baldigen Gelegenheits-Mitbewohnerin, Nachtclub-Sängerin Sally Bowles (Lou Strenger). In der Düsseldorfer Inszenierung gibt es zeitgleich eine liebevolle Annäherungen zwischen Cliff und einem der Kit-Kat-Boys. Bald erkennt Cliff, dass die im Hier und Jetzt verankerte Sally Bowles wenig an das Morgen denkt. Beide erleben, wie das Tun ihrer bedacht agierenden, schroffen und zugleich sehnsüchtigen Hauswirtin Frau Schneider (Rosa Enskat) von den Nationalsozialisten beargwöhnt wird. Während Cliff dazu drängt, das Land zu verlassen, ignoriert die Bühnenkünstlerin Sally die politischen Umbrüche geflissentlich und blendet Anzeichen neuer Unfreiheiten aus. Zu sehr widmet sie sich dem schönen Schein, um im düsteren Sein anzukommen.
Ansgar Prüwers technisch aufwendige Drehbühne zeigt unterschiedliche Settings: neben dem Kit-Kat-Showroom wird Cliffs gemietete Wohnung mit schäbigen Bett bebildert. Auch ein Treppenhaus, ein Obststand oder eine dunkel angedeutete Gasse dienen als Szenen-Spielorte. Zu den bemerkenswerten Requisiten zählt ein zerrissenes Plakat, unter einem Slogan für die aufstrebenden Nationalsozialisten deutet sich ein Foto an, auf dem sich zwei Männer küssen.
Die vielköpfige Kit-Kat-Club-Band sorgt für schmissigen Sound und Jazzrhythmen. Der Conférencier haucht als stöckelnde Diva „I don’t care“, um im pomphaften blauen Federboa-Outfit hemmungslos lauter aufzudrehen. Vor dem Vorhang singt Sally tieftraurig, aber kraftvoll „Maybe this time“, hinter einem Vorhang tut es ihr Piccolo (ausdrucksstark: Malin Tusche) als Double im Scheinwerferlicht nach. Yaroslav Ros brilliert nach der Pause mit einem Stepptanz, der nicht nur klanglich bereits militärischen Drill andeutet. Zum unheilvollen Gesang von „Der morgige Tag ist mein“ posiert Valentin Stückl leicht bekleidete mit Muskelspiel in Leni- Riefenstahl-Ästhetik.
Zu Beginn feierte die Show noch fluide Grenzen des Dazwischen. Anfangs begrüßte der Conférencier so mehrmals ausdrücklich auch jene Zuschauer, die sich welchem Geschlecht auch immer zuordnen. Nach Machtergreifung des NS-Regimes begrüßt der Showmaster, nun betont weniger androgyn im Frack, mit Blick auf das Publikum nur noch die Damen und Herren. Minderheiten sind nun nicht mehr erwünscht und werden zunehmend ausgegrenzt oder sogar verfolgt.
Trotzdem tragen auch die NS-Schergen – wie viele im Kit-Kat-Club – schwarze Lederjacken und dunkle Lackschuhe oder Nietenhalsbänder, was an Fetisch, Darkrooms und Bondage erinnert. Erotisch ins Vulgäre driftend, teils ironisch gebrochen wird hier ein Spiel von Dominanz, Dressur und Ohnmacht angedeutet. Doch bald wird es Ernst. Der Conferencier wird real bedroht, sein Versuch der selbstbewussten Behauptung (Song „Säht ihr sie mit meinen Augen, dann säht ihr, sie alle sind schön“) wird mit roher Gewalt beantwortet. Verbale und körperliche Angriffe mehren sich etwa auch gegen den jüdischen Obsthändler Schultz, der mit der Vermieterin Schneider anbändelt.
Das schöne Schillern im Scheinwerferlicht weicht mehr und mehr dem Schrecken durch Vorboten der NS-Diktatur. Regisseur André Kaczmarczyk lässt den Nationalsozialismus nur anklingen und verfremdet etwa Symbole oder Accessoires aus dieser Zeit. Das anfangs noch euphorische „Life is a Cabaret“ wird gegen Ende mit leiser Wehmut und auch stimmlichen Anklängen der Verzweiflung dargeboten. Das Ende ist in kaltes und tristes Licht taucht.
Das divers besetzte Ensemble begeistert durch Spielfreude insbesondere während der Shownummern. Reine Dialogszenen etwa zwischen der Vermieterin Schneider und dem schüchternen Obsthändler Schultz erscheinen etwas zu flach und rührig seicht. Auch wirken die Kollaboration zwischen dem hier als Afroamerikaner dargestellten Cliff mit den Nationalsozialisten und spätere daraus hervorgehende Konflikte wenig glaubwürdig, zäh und spannungsarm. So ist Cabaret schlussendlich insbesondere musikalisch und tänzerisch ein sehenswertes Ereignis voller Sinnlichkeit.
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Cabaret am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto © Thomas Rabsch
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Ansgar Skoda - 21. September 2023 ID 14394
CABARET (Düsseldorfer Schauspielhaus, 19.09.2023)
Regie: André Kaczmarczyk
Musikalische Leitung: Matts Johan Leenders
Choreografie: Bridget Petzold
Bühne: Ansgar Prüwer
Kostüm: Martina Lebert
Licht: Konstantin Sonneson
Sounddesign: Torben Kärst
Dramaturgie: Janine Ortiz
Besetzung:
Conférencier … Rob Pelzer
Sally Bowles … Lou Strenger
Clifford Bradshaw … Belendjwa Peter
Ernst Ludwig … Raphael Gehrmann
Fräulein Schneider … Rosa Enskat
Herr Schultz … Thomas Wittmann
Fräulein Kost … Claudia Hübbecker
Bobby … Orlando Lenzen
Lulu … Jill-Marie Hackländer
u.v.a.
Premiere war am 5. November 2022.
Weitere Termine: 25.09. / 13., 28., 29.10./ 04., 22.11./ 08., 31.12.2023 // 01.01.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.dhaus.de
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