Lob der
Teamarbeit
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Bewertung:
Dank der einfallsreichen Fernseh-Programmgestaltung wissen wir fast mehr darüber, wie die Speisen von Spitzenköchen zustande kommen, als über die Speisen selbst. Mit dem Theater verhält es sich anders. In der Regel kennen wir lediglich das Endprodukt. Ein Blick hinter die sprichwörtlichen Kulissen, der in Wahrheit ein Blick um die Kulissen herum, aber auch in die Wochen vor der Premiere ist, wird uns nur selten gewährt.
Das Haus der guten Geister ist eine jetzt als DVD zugängliche Reportage von Marcus Richardt und Lillian Rosa über die Arbeit an der Stuttgarter Inszenierung von Tschaikowskis Pique Dame in der Regie von Jossi Wieler und Sergio Morabito im Jahr 2017.
Dass Jossi Wieler, bis vor zweieinhalb Jahren Intendant der Stuttgarter Oper, einer der bedeutendsten Sprechtheater- und Opernregisseure in Deutschland ist, mag man, je nach den eigenen ästhetischen Vorstellungen, bejahen oder negieren. Dass er zu den sympathischsten Regisseuren gehört, steht außer Frage. Ein Porträt Jossi Wielers würde einen Film lohnen. Aber das ist Das Haus der guten Geister nicht geworden. Es ist vielmehr ein Porträt des Teams um Jossi Wieler, und damit eben doch auch ein Porträt des Regisseurs, denn Teamarbeit ist für ihn eine Überzeugungs- und Herzensangelegenheit und kennzeichnend für das Stuttgarter Modell.
Der Film pendelt zwischen den einzelnen Bereichen der Oper, den Chorproben, der Bühnenbild- und Kostümwerkstatt, den Bühnenproben, der Beleuchtung, der Kommunikation. Er macht sinnlich erfahrbar, dass die Bühnenarbeit, für den Zuschauer nicht wahrnehmbar, tatsächlich aus Arbeit im strengen, positiven Sinn besteht. Unterbrochen wird die teilnehmende Beobachtung durch kurze Statements der Mitwirkenden, Jossi Wielers also und seines Koregisseurs und Dramaturgen Sergio Morabito, der Bühnenbildnerin Anna Viebrock, des Dirigenten Sylvain Cambreling und vieler anderer.
Was bei solch einer filmischen Dokumentation verloren geht, ist das Gefühl für Zeit und Dauer. Da werden Vorgänge von mehreren Wochen auf weniger als zwei Stunden kondensiert. Die Mühen und Anstrengungen der diversen Arbeitsgänge kann man nur erahnen. Die Einstudierung der einzelnen Partien mit den Sängerinnen und Sängern wird gar nicht erst gezeigt. Dafür werden en passant Aspekte angesprochen, die sich zufällig während der Proben aufgetan haben, wie die Sorgen um den russischen Kollegen Kirill Serebrennikow, der als Gast der Stuttgarter Oper verbunden war. Überflüssig sind die Schlagzeilen-Belehrungen von außen durch den Chefredakteur der Fachzeitschrift Opernwelt. Sie belegen, gerade im Zusammenhang mit der Dokumentation lebendiger Aktionen, eindrucksvoll das Defizit von Talking Heads, zumal wenn sie in Formeln und Statistiken denken. Das fällt umso mehr auf im Kontrast zu jenen wenigen Einstellungen, in denen Jossi Wieler, mit abgesenkter Stimme aus dem Off, seine Familiengeschichte andeutet.
Der Gerechtigkeit halber muss man sagen: die Stuttgarter Oper ist nicht ganz so ein Ausnahmefall, wie es der Film suggeriert. Es gab und gibt auch anderswo Regisseure im Sprechtheater wie an der Oper, die nicht nur sagen „Das machst du“, sondern erläutern und diskutieren, warum eine Figur auf eine bestimmte Weise reagiert und handelt. Aber Jossi Wieler und sein Team sind ein gutes Exempel. Mehr kann dieser Film nicht zeigen. Aber auch nicht weniger.
Die Schlagzeilen der vergangenen Jahre konnten den Eindruck erwecken, alle Intendanten und Regisseure seien Despoten und potentielle Vergewaltiger. Das ist so richtig wie die Behauptung, alle Politiker seien korrupt. Das Haus der guten Geister ist geeignet, das Bild zurecht zu rücken.
Hinter den Kulissen, für das Publikum unsichtbar, hat auch Jossi Wielers Operndirektorin Eva Kleinitz gewirkt. 2017 ging sie als Intendantin nach Straßburg, zwei Jahre später ist sie an Krebs gestorben. Die DVD enthält als Bonus eine Würdigung der Schwester im guten Geiste Jossi Wielers.
Thomas Rothschild – 10. Februar 2021 ID 12738
mindjazz-Link zur Reportage
Das Haus der guten Geister
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