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Konzertkritik

Jussef Eisa,

unser Liebling

des Abends!



Jussef Eisa wird ab September 2012 stellvertretender Soloklarinettist am Bayerischen Staatsorchester - Foto (C) http://www.bayerische.staatsoper.de


Das Festival für Neues Musiktheater - eine seit dem letzten Sommer von der Deutschen Staatsoper Berlin ins Leben gerufene Initiative unterm Titel INFEKTION! - läuft derzeit schon zum zweiten Mal. In diesem Jahr gibts Werke Wolfgang Rihms, John Cages, Igor Strawinskys und paar anderer.

Auch Daniel Barenboim, für den die zeitgenössische Musik neueren Datums größtenteils durch das Präsentsein Carters, Nonos und Boulez' zu existieren scheint (zuletzt widmete er sich allerdings sehr ausnahmsvoll dem Schaffen eines weitaus Jüngeren: Jens Joneleit!), wollte partout nicht hinterm Berg halten und steuerte ein Vollprogramm mit Werken seines Komponistenfreundes Pierre Boulez bei. Hierzu animierte und verpflichtete er eine "kleine" Abordnung der Musiker des WEDO (des von ihm und Edward Said gegründeten West-Eastern Divan Orchestra), dass sie mit ihm und auch ohne ihn eine recht repräsentative Auswahl aus dem Oevre des Franzosen (geb. 1925) zweieinhalb Stunden lang boten...

Gottlob hatten wir zuvor den einführenden Worten Detlef Gieses (Dramaturg für Oper und Konzert) gelauscht, wo wir zum Beispiel viel von Wucherung und Ableitung, welche zwei wesentliche Schaffenskomponenten des Boulez wären, erfuhren. Auch dass dessen Opusliste gar nicht mal so überüppig sein würde; Boulez hätte den Spleen, das Meiste seines irgendwann einmal Geschaffenen erneut und immer wieder neu zur Hand zu nehmen, um es abzuändern also zu verkürzen, zu verlängern oder zu verwerfen - der Begriff vom "work in progress" träfe insbesondere bei ihm erheblich zu. Auch "warnte" Giese uns im ganz Besonderen vor Dérive 2 - dem 50minütigen Hauptwerk des bevorstehenden Abends - , wo man schon sowohl als Ausführender wie als Rezipient mitunter gar die Übersicht verlieren könnte; Giese nannte das "einkomponierte Überforderung" (sehr hübsch!)... Nun ja, so ließen wir uns also überraschen:

*


Zunächst gibts Anthèmes für Violine solo - gespielt von Michael Barenboim (WEDO-Konzertmeister). Das ist ein kurzes, etwa siebenminütiges Stück und besteht aus über einem Dutzend "winziger" Partikelchen; jedes klingt völlig anders - hörerisch verblüffend. Was im Übrigen der Geiger da aus seinem Instrument hervorzaubert, stimmt schlichtweg froh...

Danach werden zig Leitungen an Lautsprecher gelegt und angeschlossen sowie 13 Notenpulte in der Reihe aufgestellt; und Jussef Eisa (Klarinette) - unser wohl erklärter Liebling dieses Abends! - breitet seine 13 Notenblätter nacheinander aus, um sie hiernach von sechs (von rechts nach links beschrittnen) Positionen "abspielen" zu können. Selbiges geschieht dann unter Aus- und Einblendung von schmalem Licht. Das Stück, was Jussef vorführt, heißt Dialogue de l'ombre double (zu deutsch: Dialog des doppelten Schattens) und wurde von Boulez für Klarinette und Tonband komponiert. Das heißt, im Zuschauerraum und auf der Bühne hört man unterschiedlich stark und aus diversen Richtungen Klarinettenklänge (Computer Music Designer: IRCAM / Sound engineer: Josh Martin), die vom Live-Solisten (Jussef!!) sozusagen aufgegriffen und beantwortet werden; und herrlich macht er das - - beim Hören müssen wir sofort an Peter und der Wolf denken, wo der Prokofjew ja die Klarinette für die Katze vorbehielt; also wie nachts auf Dächern oder in den Gassen, wo die Katzen so ihr Wesen treiben... Schönes Stück!

Bei Messagesquisse gibt es ein Solo-Cello (imponierend gespielt von Hassan Moataz el Molla) und sechs weitere Celli (als Gruppe hinter ihm postiert: Yael Rubinstein, Daniela Shemer, Mohamed Salah, Kyril Zlotnikov, Linor Katz und Nassib Ahmadieh). Daniel Barenboim dirigiert das Ensemble mit äußerster Zurückhaltung und "kleinem Finger"... Auch schön!

Nach der Pause dann besagtes Dérive 2 in der vorläufigen Letztfassung von 2006; in den andern Fassungen hätte es eine Dauer von ca. 10 Minuten (1988) bzw. ca. 25 Minuten (2002). Die Besetzung ist erweitert; neben Klarinette (Jussef), Violine (Michael), Violoncello (Kyril) sind jetzt folgende Musiker mit zu hören und zu sehen: Christina Gomez Goddy (Englischhorn), Berker Sen (Fagott), Sharon Polyak (Horn), Ori Kam (Viola), Dominic Oelze (Vibraphon), Noya Schleien (Marimbaphon), Aline Khouri (Harfe) und Bishara Harouni (Klavier). Wir sind total begeistert von der Musizierlust des perfekt aufeinander eingeschworenen Ensembles; wir bestaunen auch den Dirigenten, wie er alle Fäden in der Hand behält!! Das Werk an sich erschließt sich für uns nicht. Es lässt uns merkwürdiger Weise kalt.

Geniales WEDO - bitte wiederkommen!!!



West-Eastern Divan Orchestra - Foto (C) Monika Rittershaus

Andre Sokolowski - 8. Juli 2012
ID 6074
KAMMERKONZERT DES WEST-EASTERN DIVAN ORCHESTRA (Staatsoper im Schiller Theater, 07.07.2012)
Pierre Boulez:
Anthèmes für Violine solo
Dialogue de l’ombre double für Klarinette und Tonband
Messagesquisse für Violoncello solo und sechs Violoncelli
Dérive 2
Michael Barenboim (Violine)
Hassan Moataz El Molla (Violoncello)
Jussef Eisa (Klarinette)
Mitglieder des West-Eastern Divan Orchestra
Dirigent: Daniel Barenboim
http://www.west-eastern-divan.org


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de


http://www.andre-sokolowski.de



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