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musikfest berlin 2010 (10. September)

FOLKSONGS III
Berliner Philharmoniker / Dirigent: Sir Simon Rattle



Das kleine Küken und der große Kitsch

"Das Fremde lässt aufhorchen. An Giovanni Battista Pergolesi faszinierten Strawinsky nicht die Legenden, die sich um den jung Verstorbenen ranken, auch nicht nur das »Vorklassische« seiner Kompositionen, das sich neoklassisch wirkungsvoll aufbereiten ließ, sondern vor allem der spanisch-exotische Unterton, eine Grundschicht, aus der Pergolesis Musik ihre Kraft bezieht. Strawinskys endgültige Entscheidung für Pulcinella aber fiel, als er die neapolitanischen Nachfahren der Commedia dell’Arte hautnah erlebte »in einem überfüllten, von Knoblauch dampfenden kleinen Raum. Der Pulcinella war ein großer Tölpel, und jede seiner Bewegungen, wahrscheinlich auch jedes Wort, war obszön.«

Die Anregung für Luciano Berios
Coro kam aus Afrika, aus der Musik der Banda Linda. »In ungefähr vierzigköpfigen Gruppen blasen die Stammesmitglieder auf langen hölzernen Röhren, jede erzeugt einen einzelnen Ton. Er wird nach einem rhythmischen Modul mit gelegentlichen Variationen wiederholt. Wenn alle Spieler in ihre Instrumente blasen, erzeugen sie einen ganz und gar neuen Gesamtklang – für westliche Ohren. Er ist komplex und geordnet zugleich; etwas zwischen Klangkathedrale und einer unerbittlichen musikalischen Maschine. Ich wollte das Prinzip und die Idee auf andere musikalische Aspekte und Kulturen ausdehnen.« Coro ist ein Ergebnis, das aus der Reflexion der Banda-Linda-Erfahrung entstand, als Rotation und Verwandlung von Materialien, die aus ganz unterschiedlichen Kulturtraditionen stammen."(Aus http://www.musikfest-berlin.de)


*


Weniger ist manchmal mehr. Das wusste auch Igor Strawinsky, der an frühe Werke gern noch einmal Hand anlegte und das ein oder andere Ballett auf eine deutlich knappere Orchesterversion eindampfte. Davon profitiert auch das kleinere Pulcinella-Küken von 1965, welches deutlich akzent- und kontrastreicher daher kommt als die verschwenderische Urfassung von 1920. Sir Simon Rattle hält die Berliner Philharmoniker an der kurzen Leine - und tut gut daran. Fort mit dem Zuckerguss und dem barocken Schwulst, hin zu technischer Präzision, entschlackter Rhythmik und ungebremster Spielfreude. Stella Doufexis versteht das Kunststück, den Sopran-Part mit reichlich geschmackvollen Verzierungen zu versehen und trotzdem nicht ins Manierierte zu kippen, Ildebrando D'Arcangelo hat leider nicht viel zu tun, aber das, was er singt, trägt er wie ein junger Gott vor, und Burkhard Ulrich macht seine Sache auch nicht gerade übel, kommt aber in puncto Timbre nicht ganz an seine schönstimmigen Kollegen heran.

Ein Zugang zum Œuvre Luciano Berios hat sich bei mir indes immer noch nicht eingestellt. Daran ändert auch sein Coro für 40 Stimmen und 44 Instrumente nichts. Mögen die Philharmoniker unter einem energiegeladenen Sir Simon auch noch so unerschrocken aufspielen und der Berliner Rundfunkchor alle Register seines Könnens ziehen (vor allem die Damen): Coro ist für mich effektvoll arrangierter, ethnischer Kitsch. Da trifft in den Texten Pablo Neruda auf das Alte Testament, geht es mal um (venezianische) Liebe oder (kroatische) Arbeit, kommt ein Indianer - nun ja - mit Indianer-Lauten daher. Ein szenischer Rahmen, ein roter Faden, würde dieser Collage vielleicht mehr Halt geben als die rein konzertante Form. Und auch die Verschränkung von Chor und Orchester, sprich, die räumliche Verschmelzung beider Apparate, ist akustisch nicht ganz unproblematisch (Textverständlichkeit).


Heiko Schon - red. 12. September 2010
ID 4823
MUSIKFEST BERLIN (10.09.2010, Philharmonie)
Berio: Coro für 40 Stimmen und Instrumente [1975/76, rev. 77] u.a. mit Liedtexten der Sioux, Navajo, Zuni, aus Polynesien, Peru, Kroatien, Venedig, dem Piemont, aus Chile und mit Versen von Pablo Neruda
Strawinsky: Pulcinella, Tanzkomödie für Pantomimen und Sänger mit Orchester [1919/20]
Stella Doufexis, Mezzosopran
Burkhard Ulrich, Tenor
Ildebrando d’Arcangelo, Bass
Rundfunkchor Berlin
(Choreinstudierung: James Wood)
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Sir Simon Rattle

Siehe auch:
http://www.musikfest-berlin.de





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