Bellinis wahre Königin
Eine konzertante NORMA im Schiller-Theater
|
Zunächst ein kurzer Umriss der Handlung: Norma, Sopran (das Veto der Bartoli-Freunde wird natürlich zur Kenntnis genommen), liebt den Feind ihres Volkes, einen Tenor. Der Tenor hat sich aber mittlerweile in die Mezzosopranistin, eine Art Freundin des Soprans, verguckt. Als die Sopranistin das heraus bekommt, plant sie, die gemeinsamen Kinder umzubringen. Weil sie das aber nicht übers Herz bringt, überlegt sie sich erst alle fünf Minuten etwas anderes und wählt dann schließlich den Freitod. Das findet der Tenor dann so edelmütig, dass er mit ihr gemeinsam den Scheiterhaufen besteigt...
Schon Christa Ludwig befand, dass Norma eine dumme Oper sei - und wo sie recht hat, hat sie recht. Aber das ist Belcanto. Da ist der Inhalt nicht so wichtig, es geht, nun ja, um schönen Gesang. Und in dieser Hinsicht hat Bellini mit Norma den Primadonnen viel Dankbares hinterlassen. Casta diva natürlich. Oder eines meiner Lieblingsduette überhaupt: Sì, fino all'ore. Unter dem Dirigat von Andriy Yurkevych offenbart die Musik jedoch Schwachstellen, mitunter sogar Langeweile. Die Tempi sind zäh, es tönt nach tranigem Tschingderassabum und Bellini schleppt sich mit etwas Mühe über die Runden. Auch wenn es nur ein Klangteppich für den Gesang sein soll: Etwas mehr Farbe und Pfeffer dürfte es schon sein. Wenn La Regina auf der Bühne steht und kurze Kontrollblicke in Richtung Yurkevych schickt, fragt man sich ohnehin, wer hier eigentlich wem was vorgibt. Lässt man die Interpretation außen vor, spielt die Staatskapelle technisch einwandfrei, gibt der Staatsopernchor eine solide Leistung ab.
Johan Botha brüllt anfangs den ganzen Laden zusammen, was ihm seine Stimmbänder sehr übel nehmen. Prompt versiebt sein Heldentenor mehr als einen hohen Ton. Aber sein Pollione fängt sich und klingt im zweiten Akt deutlich besser. Wie man auch ohne Kraftmeierei Maximalwirkung erzielen kann, zeigt der leider viel zu kurze Auftritt von Kyungho Kim (Flavio). Carola Höhn ist zwar ein deutliche Verbesserung im Vergleich zum letzten Auftritt von Brigitte Eisenfeld, aber auch sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Clotilde eine Scheiss-Rolle ist. Der Oroveso dagegen wird durch den herrlich maskulinen, jungen Alexander Vinogradov erheblich aufgewertet. Sonia Ganassi ist eine nicht minder betörende Adalgisa. Ihr Mezzo hat ordentlich Unterleib, aber auch eine tragfähige Mittellage und eine sattelfeste Höhe.
Und Edita Gruberova? Sie hat die Norma mittlerweile auch vom Charakter her restlos verinnerlicht. Besonders das Finale erster Akt, wenn die Hohepriesterin quasi Schaum vor dem Mund hat und Gruberova brodelt, tobt und schnaubt, und das Finale zweiter Akt, wenn dieses noch immer jugendlich klingende Timbre zum Einsatz kommt und ihr wohl kein Vater der Welt irgendeinen Wunsch abschlagen könnte, zeigen, wie sehr das gelungen ist. Der Rest sind schier endlos gesponnene Bögen, funkelnde Fiorituren, hier eine Verzierung, dort eine Koloratur. Und das alles mit einer Leichtigkeit, als wäre doch weiter nichts dabei.
Natürlich ist die Show mit dem letzten Ton noch nicht vorüber. Von der Atmosphäre kann man die Auftritte Gruberovas mit einem Heimspiel der Lieblingsfussballmannschaft vergleichen. Da wird getrampelt und gejohlt, klatschen Freudenpfiffe und die E-DI-TAAA-Rufe der schwulen Fans an die Rampe. Es fehlt eigentlich nur die La Ola-Welle. Gruberova absolviert ihren Applaus-Marathon mit einem milden Lächeln, kassiert die Blumen, winkt zum Abschied - und erst dann ist es wirklich vorbei. Ein großer, ein emotionaler Abend. Frau Gruberova: Meine Hochachtung!
Heiko Schon - 30. Oktober 2011 ID 5457
NORMA (Staatsoper im Schiller-Theater, 29.10.2011)
Konzertante Aufführung
Norma: Edita Gruberova
Adalgisa: Sonia Ganassi
Clotilde: Carola Höhn
Pollione: Johan Botha
Oroveso: Alexander Vinogradov
Flavio: Kyungho Kim
Staatsopernchor
(Choreinstudierung: Eberhard Friedrich)
Staatskapelle Berlin
Dirigent: Andriy Yurkevych
Siehe auch:
http://www.staatsoper-berlin.de
E-Mail an Heiko Schon
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|